Schmetterlingsgeschichten - Chronik I - Genug geschlafen (German Edition)
rasen, auf der Suche nach seinem
Gedächtnis. Er schaute sich um – konnte aber niemanden entdecken. Da kam ihm
ein Gedanke. Vorsichtig hob er die Bettdecke und schaute hinunter. Uaaah. Er
erschrak. Er war nackt. Hilfe!!!
Der
Lehrer blickte zu dem Esstisch in diesem kleinen Zimmer und sah seine Sachen
über den kleinen Stuhl gehängt, der dort stand.
»Bitte,
lass die Frau hübsch sein«, betete er schon förmlich. Neben dem Bett stand ein
kleiner Nachttisch, auf dem eine Flasche Wasser stand. Er griff nach ihr und nahm
einen kräftigen Schluck. Jens rutschte nach oben und saß jetzt mit dem Rücken
angelehnt in dem Bett. Also, wer konnte die Frau sein?
Ein
stechendes Zucken durchlief seinen Magen. Sollte es die Frau sein?
»Oh
Gott, bitte nicht!«, betete er flehend. So wollte er seiner Traumfrau nicht
wieder begegnet sein. Bitte nicht! Das würde für ihn nur eines bedeuten: Sie
hätte sich entzaubert. Er könnte niemals mit einer Frau zusammen sein, die in
der Lage wäre, einen One-Night-Stand, oder viel mehr, einen One-Day-Stand, zu
machen. So was war ruchlos, entehrend, unmoralisch, entwürdigend.
Nicht
mit einer Frau, für die er bereit wäre, sein Leben zu geben. Er selber war zwar
kein unbeschriebenes Blatt, doch hatte er vor einiger Zeit zu einer Art von
Selbstachtung, Stolz und Ehre zurückgefunden, die seine Moral- und Wertevorstellungen
verändert hatten. Niemals könnte er mit so einer Frau zusammen sein. Und wenn
sie nun noch liiert oder gar verheiratet war? Ihm wurde schlecht. Es kam ihm
der Magen hoch. Schwer atmend drehte er sich zur Seite und wollte gerade das
Bett verlassen, als es ihn überkam – er erbrach sich auf den Teppichboden.
Kalter
Schweiß lief ihm den Körper runter. Oh Gott. Hatte er eine Frau zum Fremdgehen
verführt?
Jens
drehte sich wieder zur Seite und übergab sich erneut. Er nahm einen Schluck
Wasser. Nein!! Das durfte er niemals machen!! Dann wäre all seine Ehre
verloren, mit der er sich sein Leben gestaltet hatte.
In
diesem Moment merkte er zum ersten Mal, dass er gar nicht neben sich im Bett
nachgeschaut hatte… dort bewegte sich etwas zuckend.
Seine
Hände fingen an, zu zittern, als er die Decke zur Seite schob. Da lag ganz
klein gerollt, im Schlaf wimmernd, ein kleiner Japaner.
Und
er war angezogen!
»Puuuuuuuuuuuuuuuuuuuuh«,
kam es aus Jens heraus.
Eine
zentnerschwere Last fiel von seinen Schultern. Der Zauber existierte noch und
er fing beinahe an, zu weinen.
Dass
er aber auch immer gleich in solch eine Panik verfallen musste, ärgerte er sich
über sich selbst.
Jetzt
hörte er, was der kleine Mann so von sich gab: »Bitte nicht mehr schlagen.
Bitte meine Haare runterlassen. Bitte. Bitte. Werde auch immer netter Toshio zu
Frauen sein. Immer. Immer. Mein ganzes Leben. Aber bitte nicht mehr wehtun.
Bitte…«
Jetzt
überkam Jens ein schlechtes Gewissen, und er wollte möglichst schnell hier
raus. Flugs zog er sich an und ging ins Bad. Er klatschte sich mehrere Hände
voll Wasser ins Gesicht, ohne in den Spiegel zu schauen.
Dann
wollte er das Zimmer verlassen… und sah sein Erbrochenes. »Na gut«, sagte er zu
sich selbst und ging zu dem Zimmertelefon. Auf dem Gerät stand die Zimmernummer,
und er bestellte den Reinigungsservice.
Jetzt
hatte er seine Schuld beglichen.
Augenblicklich
wurde ihm auf einmal kochend heiß. Er glühte förmlich. Als er nach der Flasche
greifen wollte, war sie schon leer, es war keine neue zu sehen. Er ging erneut
ins Bad und trank aus dem Wasserhahn. Ooooooh. Ja. Das tat gut. Jetzt aber
schnell raus hier.
Jens
hatte keine Lust, dass ihn irgendjemand hier sah.
Als
er sich vom Waschbecken wegdrehte, schaute er beiläufig in den Spiegel. Er
erschrak. Seine Augen waren knalleblau leuchtend. Jetzt überkam ihn eine Erinnerung,
die er schon völlig verdrängt hatte. Eigentlich wäre er einfach wieder nach
Hause gefahren. Doch jetzt fiel ihm wieder ein, warum er überhaupt in Köln war!
So
konnte er das Zimmer unmöglich verlassen. Wo war seine Sonnenbrille?
Jens
durchkämmte den ganzen Raum… aber sie war nirgends. Gleich würde die Putzfrau
kommen. Was sollte er machen? Und wo sollte er so hin? Am besten, er ließ sich
nicht von allzu vielen Menschen so sehen. Jetzt kam ihm DER Gedanke: Er nahm
sich selber ein Zimmer in dem Hotel! So würden ihn nur ein paar Menschen in der
Lobby sehen, und er konnte sich auch wenigstens richtig frisch machen. Jetzt
aber
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