Schmetterlingsgeschichten - Chronik II - Rock 'n' Roll (German Edition)
mehr, wann und wo
sie ihre Sachen abgelegt hatte. Sollte sie jetzt etwa den ganzen Weg wieder
zurückgehen?
Sie
drehte sich in die andere Richtung um. Cassandra hatte das Gefühl, als würde der
Gang vor ihr langsam, aber sicher, zu flackern anfangen. Irgendwie verschwommen
die Türen und sie konnte nur noch die ersten vier erkennen.
»Ein
Eis wäre jetzt nicht schlecht. Ich hätte gerne Himbeere«, sagte sie laut und
ging weiter, die Türen berührend. Fast wie in Trance schleppte sich Cassandra
den Gang hoch. Dabei griff sie immer nach links und rechts, schaute aber schon
gar nicht mehr hin, ob sie wirklich auch die kleinen Platten an den Türen traf.
»Ich
war mal in einem Urlaub am Meer«, sagte sie zu sich selber. Auf ihren Lippen
spürte sie einen Salzgeruch. Sie schmeckte mit ihrer Zunge das Wasser.
Cassandra berührte mittlerweile nur noch die Wand links und rechts, da es seit
ein paar Schritten keine Türen mehr gab.
»Da
war dieser nette Kellner. Bei ihm habe ich immer eine kalte Limonade bestellt.
Mit Eiswürfeln und Zitrone«, sagte sie wieder laut,… als rechts auf einmal kein
Widerstand mehr war. Sie plumpste einfach zur Seite. Platsch. Auf allen Vieren
richtete Cassandra sich wieder auf und schaute in einen Raum. Dort war nicht
viel. Nur ein Schreibtisch - mehr nahm Cassandra nicht wahr.
»Na
dann sterbe ich eben hier«, sprach Cassandra laut aus. Jede Hoffnung schien
ihren ausgetrockneten Körper zu verlassen.
»Ich
glaube nicht, dass du sterben wirst. Meiner Erfahrung nach geht das ganz
anders. Ich habe mal einen gesehen, dem ist unglücklicherweise ein Baum auf den
Kopf gefallen. Das war ganz schön unangenehm für ihn. Er hatte aber Glück. Der
war schön grün. Stramme Blätter, der Baum. Zeugte eigentlich von ganz schöner
Vitalität. Jetzt frage ich mich wieder, warum er eigentlich umgefallen ist. Und
warum ausgerechnet auf den Mann? Ach, das ist eine ganz andere Geschichte. Du
siehst allerdings nicht aus, als wäre dir ein Baum auf den Kopf gefallen.
Kannst du mir vielleicht sagen, wo der Mann ist, der hier eigentlich sitzen
sollte?«, fragte eine Stimme Cassandra.
»Toll«,
dachte Cassandra sich. Jetzt sterbe ich, weil ich unter der Erde in einem
Nirgendwo verdurstet bin und das Letzte, was ich sehe… ist ein sprechender
alter Schmetterling.
******
12.
S tephanus schaute auf.
Ja, das »System«, das Garth bei den Schmetterlingen eingeführt hatte, schien
einigermaßen zu funktionieren. Die Schlange war ein wenig kürzer geworden.
Zumindest brauchte jetzt nicht jeder Schmetterling mehr sofort zu ihm kommen.
Jetzt waren es hauptsächlich die Jüngsten unter ihnen, die ihn zum Rapport
aufsuchten, da sie vor Aufregung, was sie alles so an einem Tag erlebt hatten,
fast zu explodieren schienen… wenn sie es ihm nicht sofort erzählen würden. Es waren die buntesten und
wildesten Geschichten, die er jemals gehört hatte. Dabei konnte dann schon mal
ein Flugzeug zu einem wilden Drachen mutieren, der mit seinen goldenen Schuppen
Hunderte von Menschen verschlang, mit ihnen im Bauch durch die Gegend flog,
immer auf der Suche nach neuen Opfern…und sie dann aber wieder ausspuckte.
Natürlich, weil ihm beim Fliegen schlecht geworden war. Er hatte Blähungen
bekommen, die sich in schwarzem Rauch an seinen Nüstern zeigten, die
selbstverständlich an seinen Flügeln angebracht waren. Oder sein Magen hatte
bei seiner Landung solch einen Krach gemacht, dass er sie so schnell wie
möglich wieder ausspucken wollte.
»Bist du dir da auch ganz sicher? Es könnte sich dabei um ein Flugzeug
handeln«, hatte er dem Schmetterling gesagt.
»Absolut sicher! Es war ein Drache!«, zwitscherte der kleine Schmetterling
völlig selbstbewusst und gestikulierte bei seinen Ausführungen wild um sich
herum. Er war ja hier nicht zum Spaß. Eine enorme Verantwortung. Als der kleine
Schmetterling sich allerdings umdrehte, fragte er sich jedoch: »Was ist
überhaupt ein Flugzeug?«
Stephanus
kratzte sich in dem Fall die Stirn, schrieb aber alles so auf und legte ein
Memorandum an: »Mag es sich dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein irdisches
Flugzeug gehandelt haben«.
******
13.
E r drückte die Taste des Automaten. Mit einem Surren
und einem Scheppern konnte er hören, wie die Bohnen gemahlen wurden. Der
Automat machte den Eindruck, als wäre er nicht mehr der Jüngste.
Dann
konnte er hören, wie das Wasser mit der letzten Kraft eines Sterbenden
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