Schmetterlingsjagd (German Edition)
war er wieder da. Gordon schaltet sein Handy aus. Steigt in die Limousine.
«Bist ein kleiner Schlaukopf, was? Hast ein paar Dinge herausgefunden.» Seine Hand gleitet meinen Rücken hinunter und drückt zu. «Vinnie hat schon eine ganze Weile für mich gearbeitet. Ich hab mich um ihn gekümmert. Jetzt zahlt er seine Schulden zurück.» Er lacht freudlos. «Ein bisschen Gefängnis abzukriegen ist Berufsrisiko.»
«Die Fotos aus dem Jahrbuch … das waren Sie . Die Säure …» Ich versuche, das Zittern in meiner Stimme zu verbergen, aber das klappt nicht. «Sie sind in meine Schule gekommen, Sie … Sie wussten, wo mein Schließfach ist …»
«Dein Schließfach?» Für den Bruchteil einer Sekunde sieht Gordon vollkommen verwirrt aus, und ich erkenne, dass er wirklich nicht weiß, wovon ich spreche. Dann beugt er sich vor und lächelt böse.
«Weißt du was? Das ist dein Problem. Das war die ganze Zeit dein Problem. Du hast gedacht, dass das alles nur ein Witz sei. Du dachtest, ich sei nur ein Witz. Genau wie sie. Du hast mich für einen verdammten Clown gehalten, oder? Ich hab’s ihr gesagt. Ich hab ihr gesagt, dass ich sie niemals gehen lassen würde. Sie hat’s mir nicht geglaubt. Sie hat mir keine Wahl gelassen …» Er zieht mich noch fester an sich, drückt mein Gesicht mit dem Handrücken an seine Brust, bis ich nur noch den viel zu starken Rasierwassergeruch aus seinem Oberhemd einatme. Seine Lippen sind feucht an meinem Ohr: Er zischt und hat Mundgeruch.
«Sie haben … Sie haben recht», sage ich in seine Brust und versuche, die richtigen Worte an meiner Angst vorbei herauszupressen. «Sie hätte Sie nicht verlassen dürfen. Sie ist … sie war» – bitte hör mir zu, bitte hör mich an –«im Unrecht. Jeder, der Sie verlässt, ist … ist im Unrecht. Es … es tut mir leid. Bitte. Lassen Sie mich einfach gehen, und ich verspreche, dass ich …»
«Halt die Klappe, totes Mädchen», schneidet er mir das Wort ab, schiebt mich weg und schleudert mich in die fleischigen Arme eines anderen riesigen Mannes. Ich rieche Zigarettenrauch, mit dem seine Haut und seine Kleider durchsetzt zu sein scheinen. Ich würge, er legt seine Hand auf meinen Mund. Als ich versuche zu schreien, bringe ich keinen Laut heraus.
«Wie willst du’s haben, G-Man?» Die Worte rumpeln, schwer, losgelöst in der weit offenen Dunkelheit. Ich erkenne seine Stimme wieder. Das ist der Mann, der mich im Tens bedroht hat.
Klick. Eine Waffe wird entsichert. Erstickte Stimmen, meine Arme, die festgehalten werden – mein Herz, das schlägt und stehenbleibt, schlägt und stehenbleibt, ein, aus, ein, aus – mein Vater und meine Mutter – als ich sie beim Küssen erwischt habe. Er hat gerade in der Küche gestanden und gekocht. Salbei, Thymian, Kürbis, Risotto.
«Halt ihr die Augen zu, Frank.»
«Ist doch total egal, G.»
«Halt sie einfach zu.»
Mehr – Oren und ich, wie wir im Winter in unserem alten Haus in Maryland auf der Heizungslüftung liegen – er zieht eine Decke über unsere Köpfe, und wir atmen die warme Luft ein, spüren, wie sie an unseren Wangen entlangstreicht. Der Geruch, der aus der Lüftung steigt, ist weich, köstlich.
Eine große, nach Zigaretten stinkende Hand gleitet über meine Augen, kaltes Metall drückt gegen meine Schläfe; sein Atem vibriert in meinen Ohren. Meine Knie werden weich und geben nach. Durch die dicke Luft greift Sapphire nach mir. Ich spüre, wie mich ihre Flügel einhüllen, spüre, wie ich mich drehe und drehe, wie ich schrumpfe und mich verändere, wie ich mich über meinen Körper erhebe, obwohl ein Teil von mir an der Erde und diesen Händen kleben bleibt – ich spüre sie noch immer, sie packen den fleischlichen Teil von mir, den schweren, müden, angsterfüllten Teil, während der andere, der Seelenteil sein Gewicht abschüttelt und wie Nebel aufsteigt.
Aus der Ferne höre ich Gordons Stimme: «Es ist Zeit.»
Die Luft steht still, sie wird dick und langsam, und jeder einzelne Augenblick meines Lebens – die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft – teilt sich, zerfällt in alles, in Nichts.
Und in dieser Sekunde, die mir wie die Ewigkeit vorkommt, habe ich plötzlich Angst, dass Mrs. Kim, die Erdkundelehrerin, vielleicht doch nicht recht hatte: dass ich mich nicht in Moleküle auflösen und ein Teil von allem werde; dass ich einfach so verschwinde und – klick – Oren nicht auf mich wartet, weil er ebenfalls verschwunden ist, und dass ich ihn
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