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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Ellison
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zusammen und sehen unruhig und müde aus.
    Ein blondes Mädchen mit einem dicken violetten Lidstrich und in einem langen schwarzen Mantel sagt gerade: «… aber ich habe ein halbes Jahr nicht mehr mit meinen Eltern geredet. Die denken doch, dass ich lüge. Das denken sie immer.» Sie schaut von einer zur anderen, schweigt und beißt sich fest auf die Unterlippe, bevor sie fortfährt: «Ich könnte meine Tante anrufen. Vielleicht leiht die mir was. Ich würde es teilen. Wir könnten einfach abhauen. Sogar heute Abend. Wenn sie mir irgendwie das Geld schickt, mein ich.»
    «Ja», sagt ein Mädchen mit Federn im schwarzen Haar, «aber wohin? Wohin sollen wir gehen?»
    «Ich hab eine Freundin in Philadelphia», sagt das blonde Mädchen langsam, als ob sie erst noch über den Plan nachdenken muss. «Ich bin ziemlich sicher, dass sie immer noch da wohnt. Wir könnten in ihren Keller einbrechen. Ich will hier nur raus, versteht ihr?»
    Ein drittes Mädchen mit riesigen schwarzen Kampfstiefeln platzt heraus: «Ich hab fünfzig Mäuse. Das sollte doch genug für uns alle sein, oder? Für den Bus?» Ihr linker Absatz hämmert nervös auf den Asphalt.
    Ich halte den Atem an und warte – warte darauf, dass sie den Grund nennen. Warum wollen sie plötzlich so dringend aus Neverland weg? Ich muss wieder an Sapphire denken, an das blutige Muster an ihren Wänden. Ob sie sie kannten?
    Das erste Mädchen, die Blonde, öffnet den Mund, um wieder etwas zu sagen, aber dann sieht die mit den Kampfstiefeln, dass ich in Hörweite herumschleiche, und rammt ihr den Ellenbogen in die Rippen. Sie flüstert den anderen etwas zu, und sie rücken von mir weg.
    Ich laufe ein wenig auf der Stelle, um mich warm zu halten, versuche so zu tun, als ob ich nicht gelauscht hätte. Ich gehe weiter auf die tanzenden Jungs zu. Aber als ich näher komme, erkenne ich, dass das, was sie sich auf die Brust schmieren, keine Farbe ist.
    Es ist Blut.
    Sie ritzen sich selbst, ihre Brust und die Arme, mit zerbrochenen Schnapsflaschen. Der ganze Boden hinter ihnen ist voller leerer Flaschen. Einer schaut mich direkt an und lächelt ein Wolfslächeln, nur Zähne.
    «He, du.» Er zeigt mit einem blutigen Finger auf mich. «Hab dich echt lange nicht mehr gesehen. Bist fast nie mehr hier. Wieso eigentlich, Mann?» Seine Lider flattern. Er streckt den Arm nach mir aus, als wolle er mich packen. Ich keuche auf und drehe mich um, dann wende ich mich ihm wieder zu und wieder ab, wieder und wieder und wieder. Ich kann nicht aufhören, mich zu drehen. Mein Verstand sagt nein . Mein Verstand sagt noch nicht . Mein Verstand sagt noch sechs Mal, dann sind es siebenundzwanzig . Drei Neunen. Gut. Sauber. Gut. Sauber. Fertig.
    Ich muss Flynt finden.
    Banane, Banane, Banane. Ich weiß nicht, ob ich das Wort nur denke oder laut ausspreche. Es hüpft in den Mauern meines Schädels hin und her, ich fühle, wie es hämmert, jede einzelne Silbe. Jedes Bruchstück. Jedes Teil. Ich haste den Weg zurück. Plötzlich sieht alles so anders aus, merkwürdig und verzerrt. Kein Narnia. Eine Hölle. Der Schleier ist gelüftet, und alles darunter stinkt. Fault. Alle sehen krank aus, als müssten sie sich bald übergeben – sie zittern, stöhnen und rollen die zuckenden Augäpfel in Richtung Himmel. Wie konnte ich nur glauben, dass sie glücklich wären? Vielleicht hat mir Flynt Dinge vorgegaukelt, die in Wirklichkeit gar nicht da waren.
    Flynt, Flynt, Flynt. Ich spreche seinen Namen drei Mal laut aus. Flynt Flynt Flynt , noch einmal. Ist mir egal, ob mich die Leute hören können. Ich bleibe stehen und tippe neun Mal mit dem rechten Fuß. Dann mit dem linken, neun Mal. Und dann reiße ich mir sechs Haare aus. Neun, neun, sechs. Bei jedem einzelnen sage ich seinen Namen. Flynt. Flynt. Flynt. Flynt. Flynt. Flynt. Jedes Mal ein winziger Tod. Ein Opfer, das ihn mir näher bringt. Komm schon komm schon komm schon.
    Und dann sehe ich ihn – ich wusste doch, dass es klappt. Wie aus dem Nichts taucht er auf und hält eine Plastiktüte in der Hand, die vor Müll überquillt. «Ein paar tolle Funde hier in der Gegend», sagt Flynt, als er näher kommt.
    «Ich will weg», sage ich, «ich will gehen. Jetzt. »
    Sein Gesichtsausdruck verändert sich. Er tritt näher. «Was ist los?»
    «Ich – ich mag es hier nicht. Wir müssen gehen.» Ich balle drei Mal die Faust und murmele kaum hörbar Banane .
    «Warte, was? Lo, erzähl mir –»
    «Jetzt» , sage ich.
    Eine Mauer finden. Drei Mal tippen.

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