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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Ellison
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Pfannen. Andere spielen Gitarre und auf allen möglichen klimpernden, dröhnenden selbstgemachten Instrumenten. Einige singen oder jammern vielleicht, so genau kann ich das nicht sagen. Das alles ist gleichzeitig verblüffend und erschreckend, und ich kann nicht anders, ich muss mich einfach im Takt bewegen. Ich vergesse die Kälte, die Gegenstände, die ich in meinem Zimmer umstellen will, ich vergesse, dass Mom nie aufhört zu schlafen und Dad nie aufhört zu arbeiten.
    Ich lasse mich mitreißen.
    Ein großer dünner Mann mit Hosenträgern, auf denen Schneeflocken zu sehen sind, erhebt sich vom Boden und nähert sich Flynt und mir. Er hält uns zwei Windspiele hin. «Wie wär’s, wenn ihr euch ein paar Stöcke sucht und euch zu uns setzt? Wir bräuchten noch ein paar Windspiele. Es soll etwas Düsteres und gleichzeitig Feierliches werden, okay?» Er nickt uns zu und setzt sich wieder in den Kreis.
    Ich will schon den Kopf schütteln und nein danke sagen, aber Flynt sagt: «Kein Problem!», und nimmt mich bei der Hand, um mich zurück zum Vorhang zu ziehen, zum Eingang nach Narnia. Wir finden zwei Zweige: lange, dicke, noch mit Rinde, gefroren. Flynt hält mir seinen vor die Nase und kneift die Augen zusammen. «En garde», schreit er, «zieh deine Waffe!»
    Wir fechten kurz, dann schlage ich ihm den Stock aus der Hand. Dramatisch hebt er ihn vom Boden auf und tut so, als ob er weinte. Dann rennen wir zurück zur provisorischen Band und setzen uns dazu, um mitzuspielen.
    Jemanden wie Flynt habe ich noch nie getroffen.
    Der Rhythmus reißt mich mit. Drei ganze Songs lang schaue ich nicht einmal auf: Drei ist eine gute Zahl. Nicht so gut wie Neun, aber immer noch sehr gut. Inzwischen streiten sich zwei von den Leuten um die größte Mülltonne, einer hat eine Flasche Bier aufgemacht, und der Typ an der mittleren Mülltonne ist nach vorn gekippt – entweder ist er einfach eingeschlafen oder mitten im Trommeln und Singen bewusstlos geworden –, und der Rest der Band scheint sich aufzulösen.
    Flynt tippt mir mit seinem Stock auf die Schulter. Ich tippe mir mit dem Finger auf die andere Schulter, um das auszugleichen. Er lacht mich aus. Ich werde rot. «Du bist ein Naturtalent am Windspiel, Kleine», sagt er. Und dann: «Ist es okay, wenn ich mal eben zu diesem Müllcontainer rübergehe» – Flynt zeigt auf ein riesiges blaues Becken, ein behelfsmäßiger Container, nehme ich an – «und die Waren von heute durchwühle? Ich bin auf der Suche nach neuen Anregungen.»
    Ich nicke. Plötzlich fallen drei Blätter von einer Platane direkt über Flynts Kopf, und ich bin doppelt sicher, dass das hier wahr und richtig ist.
    Flynt schenkt mir ein breites Grinsen und läuft zum Container. Ich fühle mich hier merkwürdig zu Hause, unter meinesgleichen – die Merkwürdigen und Vergessenen, die Unsichtbaren und Übersehenen. In der Schule bin ich das Mädchen, das allein auf dem Rasen sitzt und in Alufolie eingewickelte Marmeladenstullen isst, manchmal auch in der Bibliothek, wenn es draußen zu kalt ist. Ich bin das Mädchen, das nicht in den Bus, in die Schule oder in die Klasse gehen kann, ohne zu tippen und zu bananen . Das Mädchen, das sich nie meldet, auch wenn sie die Antwort weiß, weil sie sonst den Arm zurück auf ihren Tisch legen und ihn wieder heben müsste, wieder und wieder, drei oder sechs oder neun Mal, abhängig von Umständen, die sie nicht kontrollieren kann – wie viele Wörter die Frage hatte, wie viele andere Schüler sich gemeldet haben, wie oft die Person vor ihr sich den Kopf gekratzt hat. Ich bin das Mädchen, das sich nach dem Sportunterricht nicht duschen kann, weil sie auch das mindestens dreimal tun müsste, und wenn sie damit fertig wäre, wäre die Schule längst zu Ende.
    In Neverland, mit Flynt, bin ich eine tolle Mülltonnenbowlerin, eine Musikerin. Ich bin – und ich kann das Wort kaum denken, ohne dass mich ein warmes, fremdes Gefühl durchströmt – hübsch .
    Ein paar Meter weiter fangen zwei Jungen an zu singen. Trotz der Kälte tragen sie keine Hemden, sondern schmieren sich rote Farbe wie Kriegsbemalung auf die bloße Brust, sie lachen und sehen begeistert aus, als ob sie nie glücklicher gewesen wären, und ich möchte in ihrer Nähe sein, also stehe ich auf. Vielleicht singe ich mit. Vielleicht werfe ich meine Arme hoch und tanze herum und johle.
    Aber auf dem Weg zu ihnen dringt ein Gesprächsfetzen an mein Ohr. Eine Gruppe Mädchen, etwa in meinem Alter, kauern

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