Schmetterlingsjagd (German Edition)
es so Situationen – na, du weißt ja, wie das ist.» Marnie zuckt die Schultern. «Manchmal schafft es einer, sich an den Sicherheitsleuten vorbeizuschmuggeln und kommt total durchgedreht in unsere Garderobe. Aber nichts Durchgeknalltes. Die gleiche Scheiße wie überall, du weißt schon.»
«Und die Kunden dürfen uns nicht anfassen», fügt Lacey hinzu. «Keine Hände. Nicht, dass sie es nicht versuchen würden. Aber wenn sie zu uns auf die Bühne kommen, dürfen wir ihnen einen Schuh an den Kopf werfen. Steht sogar im Vertrag.»
«Aber das passiert nicht ständig?», frage ich und fummele am Saum meines Rocks herum. Randi schaut mich aus dem Spiegel heraus an, sie sieht irgendwie ein bisschen verschlagen aus.
Lacey runzelt die Stirn: «Die meisten probieren natürlich aus, wie weit sie gehen können – meistens die alten besoffenen Typen mit den Taschen voller Kohle, die denken, sie dürften alles. Aber die Türsteher haben die Sache meistens unter Kontrolle.»
«Und», setzt Marnie hinzu, «wir haben ein paar sehr gute Stammkunden.» Sie zieht ein Bündel verschwitztes Bargeld zwischen ihren symmetrischen Melonenbrüsten hervor und verstaut es in ihrer schwarzen Lederhandtasche, die sie über ihren Stuhl gehängt hat. «Geldschränke in Business-Anzügen, dumme Jungs aus Studentenverbindungen, die von ihren Eltern einen Treuhandfonds geerbt haben. Junggesellenabschiede.»
«Ich hasse Junggesellenabschiede.» Lacey zieht eine Schnute.
Marnie beachtet sie gar nicht. «Du siehst so unschuldig aus, das wird super klappen. Mittwoch ist Verkleidungstag – zieh einfach eine Schuluniform an oder setz dir Katzenohren auf. Die Jungs werden drauf abfahren.»
Die tote Katze fällt mir wieder ein. Sie kommt immer wieder, drängt sich in meine Erinnerung, lässt mich nicht vergessen. Die große Frage, der Grund, aus dem ich überhaupt hier bin, zieht sich wie Kaugummi zwischen meinen Zähnen und schnalzt dann plötzlich aus meinem Mund. Höchste Zeit dafür, Lo. Frag. Einfach.
«Habt ihr nicht mit dem Mädchen zusammengearbeitet, das neulich ermordet wurde? Sapphire?»
Die Mädchen erstarren mitten im Anziehen, Schminken und Frisieren und verstummen. Ich halte den Atem an. Die Stille ist quälend. Eins, zwei, drei …
Der Damm bricht.
«Sapphire», Suzies zittrige Stimme durchbricht als erste das Schweigen. Sie blickt von einem Mädchen zum anderen, als ob sie um Erlaubnis zu sprechen bittet. Aber die Stimmung im Raum hat sich verändert: Alle schauen irgendwo anders hin, auf ihre Füße, auf die Wand, auf ihre langen lackierten Fingernägel. Aber sie beginnt trotzdem noch einmal zu sprechen, zögerlich zuerst: «Ja, wir haben sie gekannt. Sie war eine der Guten – du weißt schon, immer pünktlich, hat einem immer einen Zwanziger geliehen, wenn man mal schlecht drauf war und einen Drink brauchte. Sie war superwitzig. Keine verbitterte Säuferin, wie wir anderen.» Sie versucht zu lachen, aber es ist mehr ein Husten.
«Sie ist immer für mich eingesprungen, wenn Colin krank war. Das ist mein Sohn. Sogar wenn er nur erkältet war oder so», fügt Randi hinzu. Sie schnürt ein Paar hochhackige Overknees bis hoch zum Oberschenkel. «Sie hat sich gekümmert. Wirklich. Sie war ein guter Mensch.» Erstaunlich schnell ist sie mit dem Schnüren fertig und geht zu den Schließfächern. Mit ihren sorgfältig lackierten Nägeln zeigt sie auf eins von ihnen. «Das hier war ihr Schließfach. Wenn du hier anfängst, ist es deins. Sie hat ein paar Sachen darin gelassen. Ich denke, die kannst du einfach mitnehmen.»
«Echt?», frage ich nach, nicht ganz sicher, ob ich sie richtig verstanden habe. Hoffentlich stellen sie mich nicht auf die Probe.
Sie zuckt mit den Schultern. «Sie wird sie sicher nicht abholen kommen, oder?» Ihre Stimme wird weich. «Außerdem hätte sie sie dir sicher sowieso geschenkt. So war sie. Großzügig. Hat immer ihre Schminke, ihre Klamotten, alles geteilt.»
«Außer ihren potthässlichen Lippenstift», bemerkt Marnie, aber sie sagt es liebevoll. Die anderen Mädchen stöhnen und lachen: Sie erinnern sich jetzt alle, mit verträumtem, vernebeltem Blick. «Nicht für Geld und gute Worte hätte unser Mädchen diese lila Scheiße aufgegeben.»
Ich taste in meiner Tasche nach dem Schmetterling, trete dann an Sapphires altes Schließfach und berühre den Griff. Das alles fühlt sich an wie ein Traum, so als ob ich meinen Körper von weitem betrachte. Eine Sekunde lang schließe ich die Augen
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