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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Ellison
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Augenwinkel sehe ich, wie er schwach winkt und langsam zur Tür geht. Joe ruft: «Bis bald, Carl.» Ich falte die Baseballkappe zusammen und stecke sie vorsichtig in den Bund meiner Jeans.
    Plötzlich ergibt alles einen Sinn – die unerklärliche Anziehung, die Sapphire auf mich ausübt, wie das Schicksal mich zu ihrem Gänseblümchenhaus geführt hat, an Marios Verkaufstisch und zu ihrem glitzernden, geflügelten Schmetterling. Wir wollten beide dasselbe: dass er lebt; und weil das nicht klappte, haben wir uns beide angesteckt. Mit diesem nagenden, stillen Ding, das in einen kriecht und einen aushöhlt. Genau an der Stelle hören ihre Tagebucheinträge auf: vor über einem Jahr.
    Deshalb habe ich keine Ruhe, deshalb sehe ich ihr Gesicht zwischen Vorhängen und Wolken und Fliesen auf dem Boden: Sie hat mich gefunden. Sie hat mich erwählt.
    «Penelope.» Ich reiße den Kopf herum. Dad. Sein Gesicht sieht ganz rot und erschöpft aus. Sein Arbeitshemd ist aufgeknöpft, man kann das Unterhemd schon von weitem sehen, und weder Unterhemd noch Hemd steckt in der Hose. Das bedeutet, dass er aufgeregt ist. So aufgeregt, dass er als Erstes seinen Kragen öffnen musste, damit er nicht anfängt zu hyperventilieren.
    Wie Schmetterlinge flattern Flynt und Oren und Sapphire durch meinen Kopf – ein schwirrendes, sprudelndes Gefühl. Dad kommt wie ein Tornado über mich, packt mich am Arm und zieht mich hinter sich her in die merkwürdig warme, nach Urin stinkende Gasse. Ich schaffe es nicht einmal mehr, Joe für das Telefonat zu danken – und für alles andere.
    «Komm mit», knurrt er geradezu. «Wir sprechen im Auto darüber.»
    Dads Griff an meinem linken Arm ist so fest, dass ich mich losmache und an meinem rechten Arm ziehe, um das wieder auszugleichen. Und dann muss ich es noch einmal tun, weil ein Mal pro Arm zwei ergibt, und das ist eine plumpe, verrenkte Zahl, eine Zahl, die mich zum Schreien bringt.
    So viele Geheimnisse. Oren hätte sie mir erzählen können. Dann hätte ich gewusst, wo ich nach ihm suchen sollte. Ich hätte ihm helfen können. Ich hätte ihn retten können. Zerr. Zerr. Zerr.
    Dad schaut mir zu und schüttelt den Kopf. Ich weiß, wie sehr er das hasst; er hat es schon immer gehasst. Vielleicht hasst er mich sowieso, weil ich seit Orens Tod gar nicht mehr damit aufhören kann. «Neverland, Lo. Herrgott noch mal, ich kann einfach nicht glauben … nach allem …»
    Er reibt sich die Augen. Ich antworte nicht. Er hat keine Frage gestellt, und außerdem: Jetzt muss ich mich bücken und meine Füße berühren. Sechs Mal pro Fuß, weil sie sich ebenfalls vollkommen ungleich anfühlen.
    «Du weißt, dass man deinen Bruder nicht weit von hier gefunden hat.» Ich höre, dass seine Kehle eng wird. «Du weißt das, oder? Willst du so enden wie er?»
    Ich muss von vorne beginnen, ehe ich mich aufrichten und weitergehen kann. Die Bar ist immer noch so nah, dass man sie riechen kann: Moschus, Zucker, Teer.
    «Himmelherrgott noch mal», bricht es aus ihm heraus, «Himmel, Arsch und Zwirn, du machst mich verrückt mit dieser Scheiße. Ich versuche ein Gespräch mit dir zu führen, und du treibst mich in den Wahnsinn .» Ich muss ihn ignorieren. Muss weitermachen. Er beugt sich hinunter, mitten in meiner Zählerei, schlingt seinen Arm um meine Taille und zwingt mich grunzend in die Aufrechte. Mit dem Arm drückt er Orens Kappe in meinen Bauch. Die Nische ist dunkel, nur das Licht der Straßenlaternen durchschneidet die Nacht. Schiefe Winkel, merkwürdige Formen dringen durch die Schwärze.
    Mit aller Kraft mache ich mich los und bücke mich wieder zu meinen Füßen, um meine Fußberührungen zu beenden, ich schlucke Flüche herunter, Tränen laufen über meine Wangen. Weil er mich unterbrochen hat, muss ich von vorne anfangen. Ich bin so wütend, dass ich schreien könnte.
    Er steht einen Meter entfernt, atmet schwer, sein Rücken sieht aus wie ein Fragezeichen im Licht der Straßenlaterne. Eine schwere Minute der Stille vergeht, dann blafft er mich weiter an.
    «In Ordnung. Das wär’s dann», er bückt sich wieder, um mich zu packen, der Stoff seines Sakkos schlägt gegen meine Wange. An meinem linken Arm zerrt er mich durch die enge Gasse zum Auto. Ich bin zu erschöpft, um mich ihm noch zu widersetzen. Aber ich klopfe laut tip tip tip, Banane , ich versuche gar nicht erst, es zu verbergen, und im Auto muss ich erst einmal an meinem rechten Arm ziehen, um es auszugleichen, und dann noch mal auf beiden

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