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Schmetterlingsjagd (German Edition)

Schmetterlingsjagd (German Edition)

Titel: Schmetterlingsjagd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Ellison
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hier. Gleich jetzt.
    «Stopp» , flehe ich und versuche ihn von der Smith Corona und der Olivetti loszukriegen – er fegt sie vom Tisch und lässt sie auf den Boden knallen. Die Typen lösen sich, purzeln heraus, bleiben zitternd liegen. Er schiebt die Einzelteile in das aufgerissene Maul der Mülltüte, zerquetscht sie zwischen seinen Fingern, seinen fürchterlichen Fingern.
    «Zeitungen? Herrje, Lo. Warum hast du all diesen Mist aufgehoben ?» Er hebt einen Armvoll auf und wirft sie weg. Ich habe jede einzelne aufgehoben, seit Oren starb. Um festzuhalten, was er verpasst hat, um jeden einzelnen Tag festzuhalten, der seitdem vergangen ist. Falls er zurückkäme. Er würde alles wissen wollen. Alles sehen wollen. «Und alte Zigarettenkippen? Halb aufgeraucht … oh Gott . Du hast einfach nur Müll angehäuft … du kannst dir ja Krankheiten einfangen …»
    Er räumt sich den Weg zu meinem Schreibtisch frei, reißt meine Anhänger herunter und wirft sie zu Boden. Mein ganzer Körper ist ein einziger Schrei. Ich werde von innen in Fetzen gerissen. Aber ich kann mich nicht bewegen. So müssen sich Menschen fühlen, die Zeuge einer Naturkatastrophe werden – vollkommen hilflos – Häuser, Leben, Menschen – alles – einfach fortgerissen.
    Die Schubladen: Er öffnet sie, schüttelt die Papiere, Zeitschriftenausschnitte und mürbe, getrocknete rötliche Blätter durcheinander, die ich diesen Frühling gesammelt habe. Er schmeißt sie in die Mülltüte, zu den anderen Dingen.
    Ich kann nur noch heulen: « Dad. Bitte hör auf. Bitte hör auf. Bitte HÖR AUF.» Aber er ist ein Hurrikan. Blind. Hungrig.
    Er wirft eine Schublade so heftig zu, dass der Schreibtisch gegen die Wand knallt. Alles, was auf den beiden Regalbrettern stand, fällt mit einem lauten Krachen zu Boden und zerbricht – zwölf Glaspferdchen, drei Emaillekästchen, drei silberne Totenschädel, die aussehen wie diese mexikanischen Zuckerschädel und die ich mal in einem staubigen Laden in Detroit aufgestöbert habe.
    Eine Pause. Die Wolken ziehen den sintflutartigen Regen wieder zu sich hoch; etwas in Dad verändert sich. Er steht einfach nur da, rührt sich nicht, zwinkert. Es ist fast, als hätte man ihn aus einer Trance geweckt. Und dann, ohne ein weiteres Wort, schüttelt er langsam den Kopf und geht aus meinem Zimmer. Die fett gewordene Mülltüte lässt er einfach fallen.
    Ich sinke auf die Knie. Orens Kappe löst sich aus dem Bund meiner Jeans, fällt zu Boden; meine Hände bewegen sich auf meine zerbrochenen Gegenstände zu. Ich zerre sie aus der Mülltüte, ziehe sie zu mir, befühle sie, in Scheiben geschnitten, scharfkantig zwischen meinen Fingern. Klebstoff. Ich brauche. Klebstoff. Oder Tesafilm. Meine Eingeweide werden explodieren. Ich werde sterben. Alle werden sterben. Die Welt geht unter.
    Die Welt ist untergegangen. Sie dreht und wankt um mich herum – mein Körper sinkt, verschmilzt mit dem Boden, zersplittert, schmerzgekrümmt. Ich drücke eine Kasperlepuppe an meine Brust – sie fällt auseinander. Mehr, mehr anfassen. Alles, ich nehme alles in die Hand, aber alles bricht auseinander, teilt sich, immer weiter in kleine Einzelteile, nichts Ganzes, nichts Festes. Also lecke ich die Kanten an, ich merke kaum, wie eklig das ist, wie jämmerlich ich bin. Ist mir egal. Ist mir egal. Ich muss das hier irgendwie wieder reparieren. Jedes Stück, jedes bröckelnde Teil eines Ganzen zusammenkleben, zusammenhalten. Auf meiner Zunge der Geschmack von Kitt, von Gips. Krümel sind in meinem Mund, gleiten meine Kehle hinunter; ich würge. Ich hasse mich. Ich muss es weiter versuchen. Mein Magen verkrampft sich. Und nichts passt. Nichts bleibt. Eine Schwärze zerfrisst die Kanten meines Gesichtsfeldes.
    Ich fahre mit den Händen durch den Schutt, da berühren meine Finger mit Steinchen besetzte Kanten, geschwungene Flügel. Ich schaue hin: Sapphires Schmetterling, eine dunkle Linie spaltet seine Mitte. Ich starre ihn an, Tränen treten in meine Augen, ich wünschte, ich hätte ihn nie auf das Regal gestellt – alles meine Schuld. Schon wieder. Weil ich ihn vernachlässigt habe, weil ich ihn nicht bei mir haben wollte.
    Ich nehme ihn zwischen die Finger und keuche auf, als er fast genau in der Mitte in zwei Hälften zerfällt. Etwas Kleines, Dünnes und Quadratisches kommt zum Vorschein.
    Mein Herz setzt einen Schlag aus: eine SIM-Karte.
    «Heilige Scheiße», flüstere ich laut. Die Luft um mich weht meinen Streit mit Dad und all die

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