Schmetterlingsjagd (German Edition)
Seiten, zwei Mal. Sechs. Besser.
Auf der Fahrt schaue ich aus dem Fenster und halte nach Zeichen Ausschau – von Sapphire, die vielleicht mit Oren oben bei den Sternen wohnt. Vielleicht flüstern sie mir beide etwas zu – durch den Eschenahorn und den Geweihahorn und die Traubenkirsche.
«Weißt du, ich werde nur deshalb so sauer, weil ich dich liebe. Das ist dir doch klar, oder? Deine Mutter und ich, wir lieben dich beide.» Wir sind schon in unserer Einfahrt, aber er macht keine Anstalten auszusteigen. Er hält die Hand um den Gangschaltungsknüppel geschlossen. «Ich bitte dich nur darum, uns an deiner Welt teilhaben zu lassen.»
Aber ich höre gar nicht zu. Eine der beiden Lampen auf der Veranda ist kaputt, und die Asymmetrie bereitet mir Bauchschmerzen. «Glühbirnen», sage ich und wende mich an Dad. Dabei grabe ich die Fingernägel in meine abgewetzten schwarzen Hosen. «Wo bewahren wir eigentlich die Glühbirnen auf?»
«Glühbirnen?» Er schüttelt verständnislos den Kopf. «Was ist bloß mit dir los, Lo? Erzähl mir, was du getan hast.» Er brüllt fast. «Wenn du es nämlich nicht erzählst, werde ich alles tun, um es selbst herauszufinden.» Er reißt den Schlüssel aus dem Zündschloss und steigt aus dem Wagen; ich folge ihm dicht auf den Fersen. Ich fühle mich schrecklich, grauenvoll aus dem Lot, und Panik schlängelt sich durch meinen Körper wie Säure, wie Gift.
« Bitte , Dad», sage ich und versuche, mit tiefer, ruhiger Stimme zu sprechen. Aber die Panik blubbert aus mir heraus. «Ich brauche eine Glühbirne.»
Aber er dreht sich nicht mehr um und antwortet nicht. Ich renne zur Eingangstür, er öffnet sie, und ich klopfe tip tip tip, Banane , so schnell ich kann. Ich schlüpfe hinter ihm ins Haus. Er wirft sein Sakko auf einen Küchenstuhl und stürmt die Stufen hoch. Und dann, als ich gerade die Vorratskammer nach Glühbirnen durchwühle, bemerke ich, dass er nicht bei seinem Zimmer im ersten Stockwerk stehen bleibt. Er geht weiter nach oben. Er geht unter das Dach. Er geht in mein Zimmer.
Die durchgebrannte Glühbirne zieht an mir, aber ich beachte sie nicht und rase nach oben. Alles ist plötzlich ganz laut um mich herum: meine Füße, die auf den Stufen poltern, mein Herz, das wie wild in der Brust hämmert, das Hirn, das gegen den Schädel schlägt.
Sein Rücken ist ein dunkler Riese, eine Sonnenfinsternis in der Tür zu meinem Zimmer.
«Raus da, Dad!», schreie ich. «Das ist mein Zimmer. Meins.» Ich versuche, ihn wegzuschubsen. Er ist schwer wie ein Fels. Unbeweglich.
Er wehrt sich nicht einmal, steht nur da, den Mund leicht geöffnet, staunend.
«Heilige Mutter Maria. Herrje», flüstert er schließlich, er schluckt hart und schaut sich in meinem Zimmer um. «Was zum Teufel soll dieser ganze Scheiß hier?» Seine Stimme klingt leicht hysterisch; er fährt mit der Hand durch sein schütteres Haar. «Was hast du hier oben getrieben ? Ich kann nicht einmal – ich kann nicht einmal in dein verdammtes Zimmer hineingehen .» Mit den Händen reibt er sich über das Gesicht; die Augen aufgerissen, voller Schrecken. Voller Ekel. «Das ist … das ist krank . Solche Dinge tun kranke Leute – bergeweise Müll anhäufen.» Speichel spritzt aus seinem Mund, und er zwinkert jetzt heftig. «Ich kann einfach nicht glauben … dass wir nicht … ach du lieber Gott. Du lieber Gott !»
«Gott», flüstere ich, noch einmal, damit es drei ergibt. Mein Körper fühlt sich ganz heiß an, wütend. Er geht in mein Zimmer. Er tritt gegen die neun Kasperlefiguren mit den weichen Bäuchen, stört sie, zerbricht zwei ihrer glatten, perfekten Porzellangesichter. Ich schreie und stürze mich auf ihn.
Er wehrt mich ab und verschränkt die Arme vor der Brust. Schüttelt immer noch den Kopf, seine Stimme klingt beängstigend monoton. «Wir kriegen das wieder hin. Wir kriegen das jetzt hin.» Er läuft aus dem Zimmer und dreißig Sekunden später wieder hinein. Ich halte immer noch die Kasperlefiguren in der Hand. Er hat eine riesige schwarze Mülltüte mitgebracht.
«NEIN, Dad, nein …», schluchze ich. Er wühlt sich aufs Geratewohl durch meine Sachen, tritt gegen Haufen, reißt Gegenstände von den Wänden, wirft sie weg: die antiken Messingwanduhren. Minnesota. Baltimore. Cincinnati. Alle. Plötzlich: zertrümmert, pulverisiert zu Staub. Wie Müll. Mein Herz hämmert im Brustkorb, vibriert bis hoch in meinen Hals, dort bleibt es stecken und schneidet mir die Luft ab. Ich ersticke, gleich
Weitere Kostenlose Bücher