Schmetterlingsschatten
klappern hören.
Elena huschte auf den Gang, dann kehrte sie noch einmal um, um Lauras Zimmer abzuschließen. Den Schlüssel nahm sie mit. Besser, ihre Mutter wunderte sich darüber, falls sie in das Zimmer sehen wollte, als dass sie es in diesem Zustand vorfand. Sie nahm sich vor, gleich heute Nachmittag aufzuräumen.
Elena schlüpfte in ihr Zimmer und unter ihre Bettdecke. Ruhig lag sie da und wartete darauf, dass ihre Mutter sie wecken kam. Doch nichts passierte. Sie beobachtete, wie der Zeiger ihrer Wanduhr langsam immer weiter wanderte, zehn vor sieben, fünf vor sieben, sieben. Will sie, dass ich zu spät komme?, wunderte sich Elena einen Augenblick, bis es ihr schließlich wieder einfiel: die Notenkonferenz. Natürlich, heute war schulfrei.
Sie wartete auf das Gefühl der Erleichterung, der Freude auf einen freien Tag mitten in der Schulzeit, aber es wollte sich nicht einstellen.
Was konnte sie jetzt noch tun? Vielleicht hatte Laura die Drohbriefe schon lange weggeworfen, vielleicht hatte es gar keine Verbindung gegeben zwischen ihr und dem toten Mädchen.
Müdigkeit überkam sie. Vielleicht konnte sie sich noch einige Augenblicke ausruhen, bevor sie Lauras Zimmer wieder in Ordnung brachte.
Als sie wieder aufwachte, war es schon nach elf. Sie quälte sich aus dem Bett hoch, duschte ausgiebig und machte sich daran, Lauras Zimmer wieder aufzuräumen. Lustlos schob sie die Schubladen zu, räumte Kleider und Bücher weg und zog die Decke über dem Bett glatt. Noch nie in ihrem Leben war ihr etwas so sinnlos vorgekommen. Laura würde sowieso nicht mehr merken, dass ihr Zimmer unordentlich war.
Sie fragte sich, warum Tristan nicht anrief. Hatte er nicht heute mit ihr weggehen wollen?
Ungeduldig versuchte sie, eine CD wieder ins Regal zurückzustopfen, die sie gestern herausgezogen hatte. Es ging nicht. Die Hülle stand an einer Ecke hoch. Während Elena versuchte, sie richtig zu schließen, fiel ihr Blick auf das Cover. Es war ein Schmetterling. Dunkelblau, beinahe schwarz auf einem goldenen Grund.
Ein seltsames Gefühl ergriff Elena. Sie wusste, dass sie gefunden hatte, wonach sie suchte. Schmetterlinge, das waren schon immer Lauras Geheimnishüter gewesen. Ihre Finger zitterten, als sie die Hülle öffnete.
Es waren zwei CDs. Die vordere war eine ganz normale Musik-CD. Elena nahm sie heraus und dahinter kam ein silbriger Rohling zum Vorschein, auf den Laura mit geschwungener Schrift »Reportage Jugendgewalt« geschrieben hatte.
Eine Reportage?
Warum hatte Laura diese CD versteckt?
Elena starrte auf die glitzernde Scheibe in ihrer Hand. Mit wackligen Beinen ging sie in ihr Zimmer zurück und startete den Computer. Sie ließ das CD-Laufwerk auffahren und legte die CD ein. Ihre Finger zitterten, als sie den Explorer startete. Einige der Dateien – Artikel über Gruppenzwang, die Laura sich aus dem Internet besorgt haben musste – überflog sie nur, bis sie schließlich auf ein Worddokument stieß.
»Eine Untersuchung zur Jugendkriminalität, verfasst von Laura Henn« lautete die Überschrift. Elenas Herz begann, schneller zu schlagen.
Die nächste Stunde hing sie vor dem Rechner fest. Ungläubig las sie den Bericht. Vieles davon kannte sie schon, aus Lauras Tagebuch. Aber dieser Artikel war sehr viel sachlicher, detaillierter, ließ keinen Zweifel daran, dass sie selbst dabei gewesen war, listete Häuser auf, in die sie eingestiegen waren, Dinge, die sie entwendet hatten, unternommene Mutproben. Ein paarmal hatten sie mit Drogen experimentiert, die sie in der Stadt besorgt hatten. Ecstasy vor allem. Immer wieder wies Laura darauf hin, dass sie all dies zu Recherchezwecken unternommen hatte. Sie musste das Vertrauen der Gruppe gewinnen, damit sie an die Insiderberichte kam.
Doch die Namen, die Laura nannte, kamen Elena völlig unbekannt vor. Eine Zeit lang fragte sie sich, wen ihre Schwester da um Himmels willen kennengelernt hatte, bis sie auf einen diskreten Hinweis stieß. »Namen von der Redaktion geändert«. Am liebsten hätte sie geschrien. Laura und ihre blöden Reporter-Ambitionen. Dieser Artikel half ihr kaum weiter.
Trotzdem scrollte sie immer weiter nach unten, gefesselt von den Enthüllungen. Und schließlich fand sie, wovor sie sich gefürchtet hatte. Einen Abschnitt über das fremde Mädchen. »Der Abend, am dem ein Mensch zu Tode kam«, war der Absatz überschrieben. Elena war versucht, die Datei zu schließen. Sie wollte das nicht lesen. Sie hatte Angst davor. Doch sie biss die
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