Schmetterlingsschatten
Holte er nun Verstärkung?
Einen Augenblick lang überlegte sie, ob sie die Polizei rufen und alles erzählen sollte, aber diese Idee verwarf sie gleich wieder. Dafür wusste sie einfach zu wenig von dem, was tatsächlich vorgefallen war. Bis jetzt war alles, was sie hatte, Lauras Tagebuch und eine Reihe wirrer Vermutungen. Sie musste wissen, von wem das Tagebuch sprach. Am besten, sie rief gleich im Krankenhaus an und sprach mit Mark.
Kapitel 9
Das Mädchen war ihm auf der Spur, so viel war klar. Noch war nicht klar, wie viel sie wusste, aber er musste handeln. Möglichst noch heute. Am besten, er rief gleich die anderen an.
Das Krankenhaus teilte ihr mit, dass Mark inzwischen wieder zu Hause war, doch als Elena dort anrief, ging niemand an den Apparat. Sie war sich nicht sicher, ob das hieß, dass tatsächlich niemand da war, oder ob Mark nicht mit ihr sprechen wollte. Schließlich beschloss sie, ihm eine E-Mail zu schicken, in der sie ihm mitteilte, was sie schon alles wusste. Vielleicht konnte sie ihn so dazu bringen, ihr den Rest zu erzählen.
Fast zwei Stunden brauchte sie, um die Mail zu formulieren. Sie wollte Mark nicht unnötig verunsichern, ihm aber keine Chance lassen, ihr etwas zu verschweigen. Als sie sie schließlich abgeschickt hatte, kamen ihr wieder Zweifel, ob sie das Richtige getan hatte, aber etwas Besseres fiel ihr nicht ein. Jetzt hieß es abwarten.
Der Rest des Nachmittags verlief erstaunlich ruhig. Die Sonne hatte das Haus dermaßen aufgeheizt, dass Elena und ihre Mutter es irgendwann nicht mehr drinnen aushielten und gemeinsam Liegestühle und Kissen in den Garten schleppten. Dort lagen sie im Schatten des großen Kirschbaums, ließen sich von der lauen Sommerbrise abkühlen und lasen. Ein paar einsame Vögel zwitscherten über ihnen in den Zweigen und aus einem der Nachbargärten drang das kontinuierliche Brummen eines Rasenmähers herüber. Elena merkte, dass sie sich unwillkürlich entspannte. Sie hatte das Gefühl, alles getan zu haben, was sie momentan tun konnte, und erlaubte sich zum ersten Mal seit Samstag, etwas zur Ruhe zu kommen und ihre Gedanken zu ordnen.
Nichts regte sich. Weder Tristan noch Vanessas Freund tauchten auf. Fast wäre es ihr gelungen, die ganze Geschichte mit Laura zu vergessen, wenn nicht ab und zu die Stimmen der Bachmanns zu ihnen in den Garten geschallt wären, die es sich nicht verkneifen konnten, über sie zu tratschen. Aber selbst das war ihr angesichts eines so wunderbaren, faulen Nachmittags beinahe gleichgültig.
Zum Abendessen gab es Kartoffelsalat und Wiener Würstchen, genau das Richtige für ein solches Wetter. Elenas Mutter saß entspannt am Abendbrottisch und plauderte, auch ihr schien der Nachmittag gut getan zu haben.
Auf einmal kamen Elena ihre Nachforschungen seltsam lächerlich vor. Sie handelte sich damit mehr Probleme ein, als sie löste. Vielleicht sollte ich die ganze Angelegenheit einfach ruhen lassen, dachte sie. Laura wird dadurch nicht wieder lebendig. Und schließlich ist das alles schon lange vorbei.
Vielleicht war es wirklich besser so. Ihre Mutter wäre viel entspannter, wenn Elena nicht mehr ständig Fragen stellte, und sie musste auch nicht immerzu Angst davor haben, etwas Furchtbares über Tristan herauszufinden. Wenn Mark sich nicht meldete, beschloss sie, würde sie auch nicht mehr nachfragen. Und wenn er antwortete – nun, dann konnte sie immer noch überlegen, was zu tun war. Du betrügst dich selbst, flüsterte eine Stimme in ihrem Inneren, doch Elena stellte sich taub.
Sie ging früh in ihr Zimmer, um lange und ausgiebig mit Vivienne zu telefonieren. Sie redeten über Gott und die Welt, Schule, Mitschüler, Ferienpläne, aber Laura oder die Clique erwähnte keine von ihnen. Es war, als stimme Vivienne insgeheim mit Elenas Entschluss überein.
Als sie schließlich hundemüde unter ihre Bettdecke schlüpfte, war es schon kurz vor elf und sie fühlte sich so gut wie schon lange nicht mehr.
Es war heiß unter dem Dach und Elena hatte Schwierigkeiten einzuschlafen. Immer wieder wälzte sie sich herum und versuchte, eine bequeme Position zu finden, nur um sich fünf Minuten später wieder umzudrehen. Zweimal stand sie auf, um ins Bad zu gehen und dort etwas Wasser direkt aus dem Hahn zu trinken, das dritte Mal überwand sie schließlich ihre Faulheit und tappte in die Küche hinunter, wo sie eine Flasche Orangensaft aus dem Kühlschrank nahm.
Die kühle Flasche gegen die Wange gepresst, stieg sie die Stufen wieder
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