Schmetterlingsschatten
Papieren herum. Der andere sah im Schrank nach. Es war offensichtlich, dass sie etwas Bestimmtes suchten.
Das Tagebuch? Elena schob sich noch ein Stück weiter über das Fenster. Alle Vorsicht war vergessen und einer unbezähmbaren Neugier gewichen. Dabei musste sie ungewollt ein Geräusch gemacht haben. Einer der beiden wirbelte herum, packte den anderen beim Arm und zerrte ihn aus dem Zimmer. Kurz darauf konnte Elena sie über die Straße rennen und in der Dunkelheit verschwinden sehen. Sie selbst lag wie gelähmt vor Aufregung und Angst eng an das Dach gepresst. Aus Lauras Zimmer fiel immer noch der ungewohnte Lichtschein. Ein roter Schmetterling glühte von unten in die Nacht hinauf.
Allmählich gelang es ihr wieder, klarer zu denken. Die beiden Einbrecher mussten irgendetwas gesucht haben, das war klar. Aber war es auch wirklich das Tagebuch?
Tristan wusste von dem Tagebuch, denn Elena hatte ihm selbst davon erzählt. Aber sie hatte ihm auch gesagt, dass dort keine Namen standen. Selbst wenn er irgendwie mit diesen Dingen zu tun gehabt hatte, was für einen Grund hätte er, das Buch stehlen zu wollen? Es gab dort nichts, was ihn belastete.
Und die anderen, Kevin, Vanessa und ihre Freunde, die wussten erst recht nichts von dem Buch. Es musste etwas anderes sein, das die Einbrecher gesucht hatten, so oder so.
Die Briefe, fiel Elena ein. Laura hatte von Drohbriefen gesprochen. Wer immer sie geschickt hatte, musste ja von ihnen wissen. Vielleicht waren die noch irgendwo im Haus. In Lauras Zimmer. Warum hatte sie nicht vorher daran gedacht? Und eine noch bessere Frage: Warum hatten die Einbrecher es nicht getan? Warum suchten sie erst jetzt nach den Briefen, nicht schon direkt nach Lauras Tod?
Ein Gedanke zuckte durch ihren Kopf. Das fremde tote Mädchen. Sie hatten angefangen, das Haus zu beobachten an dem Tag, an dem die Leiche gefunden worden war. Irgendwie passten all diese Puzzleteile zusammen, Elena konnte nur noch nicht sagen, wie genau. Hatte das Mädchen etwas gesehen? War auch sie umgebracht worden? War Laura umgebracht worden?
Sie hatte unrecht gehabt mit ihrem Entschluss. Sie konnte Laura nicht einfach ruhen lassen. Sie musste herausfinden, was tatsächlich geschehen war. Selbst wenn das bedeutete, dass sie sich unangenehmen Wahrheiten stellen musste.
Es wurde eine sehr lange Nacht. Anders als beim ersten Mal, als sie in Lauras Zimmer gewesen war, ging Elena jetzt sehr sorgfältig vor. Sie öffnete jede Schublade, blätterte jeden Block durch, ob er vielleicht einen Brief oder etwas Ähnliches enthielt, durchsuchte den Kleiderschrank, den Nachttisch, schließlich sogar die Bücher, die herumlagen, die Fotoalben, Lauras Hefte. Sie nahm Fotos aus den Rahmen, um zu sehen, ob etwas dahinter war, hob die Matratze an, sah hinter die Heizung und in das Bonbonglas. Sie leerte das CD-Regal und sogar das alte Sparschwein.
Aber wo sie auch suchte: Sie fand nichts. Keinerlei Hinweis darauf, dass Laura in der Clique gewesen war oder sich mit Kevin und Vanessa herumgetrieben hatte, kein Foto, keinen Artikel über das tote Mädchen – nichts. Nach und nach wurde Elena immer müder, bis sie kaum noch die Augen offen halten konnte. Doch sie wollte nicht aufgeben. Geradezu besessen war sie von dem Gedanken, dass sich hier irgendwo etwas finden ließ, was ihr erklärte, warum Laura hatte sterben müssen.
Nichts.
Rein gar nichts.
Es war ein völlig normales Zimmer eines völlig normalen Mädchens.
Erschöpft ließ sich Elena schließlich auf Lauras Bett fallen und schlang die Bettdecke um sich. Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Die Erinnerung an ihre Schwester trieb ihr beinahe wieder die Tränen in die Augen, aber sie hüllte sich ganz fest in die Decke ein und genoss das warme Gefühl. Es war beinahe so, als wäre Laura da, um sie zu beschützen und ihr zu helfen.
Sie erwachte verwirrt und orientierungslos. Für einige Augenblicke konnte sie sich nicht erinnern, wo sie sich eigentlich befand. Dann fielen ihr die Ereignisse der Nacht wieder ein. Laura, der Einbruch. Sie war in Lauras Bett eingeschlafen, das Zimmer sah schrecklich aus.
Müde wälzte sie sich herum und warf einen Blick auf den Wecker, der auf Lauras Nachttisch stand. Viertel vor sieben, bald würde ihre Mutter in ihr Zimmer sehen, um sie für die Schule zu wecken. Erschrocken sprang Elena aus dem Bett, lief zur Zimmertür und spähte auf den Gang. Noch war hier oben alles ruhig. Sie konnte ihre Mutter unten in der Küche mit Geschirr
Weitere Kostenlose Bücher