Schmetterlingsscherben
hier waren. Vielleicht starrten einige auch einfach nur ihn an, weil er in dem dunkelgrünen T-Shirt und den schwarzen Jeans absolut umwerfend aussah. Ich konnte es nicht genau sagen. Tatsache war, dass wir angeglotzt wurden.
«Wie wäre es mit Eis?», fragte Lennard und deutete auf das Eiscafé am Ende der Straße. «Ich lad dich ein.»
«Klar, wieso nicht», zuckte ich mit den Schultern und sah mich um. Ich fühlte mich wirklich nicht wohl, wenn mich alle so anglotzten. Gott, wie sehr ich mich jetzt nach einer Kapuze sehnte.
«Hier.» Lennard reichte mir seine Sonnenbrille, ehe er sich in die Schlange vor der Eisdiele einreihte. Kommentarlos setzte ich sie auf und fühlte mich immerhin ein bisschen geschützter. Die Sonnenbrille war eigentlich viel zu groß für mein Gesicht und ich sah damit vermutlich aus wie eine dämliche Fliege oder Biene, aber das war mir egal.
«Zwei Kugeln Kirsch und eine Schokolade?», fragte Lennard und beäugte mich schräg. Ich hätte gerne aus Protest einfach etwas anderes gewählt, weil es mir gewaltig stank, dass er mich immer noch so gut kannte, aber ich hatte wirklich Lust auf Kirscheis, also ließ ich es bleiben.
Er wartete ohnehin keine Antwort mehr ab, sondern grinste bloß sein blödes Scheißlächeln und bestellte.
Irgendwie schaffte ich es, den Nachmittag hinter mich zu bringen, ohne ihn anzubrüllen oder zu beleidigen und ohne das Gefühl zu haben, mich jeden Moment übergeben zu müssen. Er hielt brav Abstand und er sprach auch keine heiklen Themen mehr an, sodass wir einigermaßen miteinander auskamen. Es war sogar recht leicht.
Dennoch war ich froh, als wir uns am frühen Abend auf den Rückweg machten. Ich war sogar schon fast am überlegen, ihn ins Haus zu bitten und zu fragen, ob wir Pizza bestellen wollten.
«Kann ich noch mit reinkommen? Ich wollte noch mit dir über etwas reden.» Er sah mich ernst an und ich zuckte mit den Schultern. «Wenn‘s sein muss.» Ich zog meinen Schlüssel aus der Tasche und schob ihn ins Schloss, um ihn mehrfach herumzudrehen.
«Wieso schließt du eure Haustür eigentlich doppelt ab?», fragte Lennard skeptisch, als er mich dabei beobachtete. «Glaubst du wirklich, hier passiert irgendwas? Du bist nicht mehr in der Großstadt.» Er grinste und ich verdrehte die Augen. «Das dachte ich auch, aber mir hat ja auch jemand die Reifen am Fahrrad zerstochen, oder?»
Er strich sich verlegen durchs Haar und schnitt eine Grimasse. «Ja, das war… ehrlich gesagt ich.»
«Was?!» Ich starrte ihn entgeistert an. Und schon war alles wieder wie weggeblasen.
«Ich hab dir neue Reifen aufgezogen, schon vergessen? Außerdem brauchte ich eine Gelegenheit und du hättest doch sonst niemals mit mir gesprochen!»
«Ja, richtig!», schrie ich. «Weil ich dich nie wiedersehen wollte und weil ich dich eigentlich komplett aus meinem Gedächtnis verdrängt hatte! Und du tauchst einfach so wieder auf und machst alles kaputt, alles!» Wütend schmiss ich die Tür hinter mir zu und lief die Treppe hoch in mein Zimmer, um seine scheiß Entschuldigungsversuche nicht mit anhören zu müssen.
Erst eine Stunde später hörte ich den Motor von seinem hässlichen Auto und eine weitere später das Auto meines Vaters. Ich lag im Bett und stellte mich schlafend, weil ich keine Lust hatte, über den heutigen Tag zu reden oder über überhaupt irgendetwas.
Mein Vater klopfte nur kurz bei mir an die Zimmertür und warf einen Blick ins Zimmer, ehe er sich zurückzog.
Seufzend drehte ich mich auf den Rücken und starrte an die Decke. Ich verstand bis heute nicht, was damals mit Lennard passiert war. Wieso er sich von meinem allerbesten Freund in dieses arrogante, abwertende und verletzende Schwein verwandelt hatte. Und das innerhalb von zwei Wochen.
Lennard war mein Leben gewesen, auch wenn ich mir das im Nachhinein nicht eingestehen wollte. Ich hatte alles für ihn getan und er alles für mich und wir waren unzertrennlich gewesen
Und was am wichtigsten war: Lennard hatte mir geglaubt. Er hatte mich nie für verrückt gehalten. Er war der festen Überzeugung gewesen, dass ich nicht wahnsinnig war, sondern dass ich diese Dinge wirklich sah. Er wollte alles darüber wissen und versuchte sogar, sich mit meinen Puppen zu unterhalten, wenn ich sie ihm vorgestellt hatte. Nur deswegen hatte ich damit leben können. Für mich war es okay gewesen, weil es das für ihn auch war. Und dann hatte er alles zerstört.
Ich verstand Lennard einfach nicht. Ich kapierte nicht, was
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