Schmetterlingsscherben
mich an die Details zu erinnern, die ich vorher versucht hatte zu verdrängen. «Wir waren auf dem Weg hierher. Meine Mutter wollte mich über das Wochenende absetzen, weil sie irgendwas erledigen musste. Sie war ziemlich durch den Wind.»
«Wahrscheinlich, weil sie Besuch von Paranormalen hatte», nickte Lennard und leerte den Rest seiner Kaffeetasse.
«Ich erinnere mich nur noch verschwommen, ehrlich gesagt. Aber irgendwie kamen wir von der Straße ab und…» Ich stockte und versuchte das Bild aus meinem Kopf zu verscheuchen.
«Wir sollten weiter.» Er stand auf und schmiss ein paar Geldscheine auf den Tisch.
«Wieso… wieso hast du mir nie davon erzählt?», fragte ich, als wir wieder auf der Straße waren. «Damals, meine ich. Wenn du an deinem vierzehnten Geburtstag Bescheid wusstest!»
«Weil ich Angst hatte! Ich wollte dich nicht in einen Krieg hineinziehen, von dem du noch nicht mal wusstest, dass er stattfand», sagte er und warf einen Blick nach hinten, um sicherzugehen, dass wir nicht verfolgt wurden.
«Und stattdessen brichst du mir lieber das Herz?», fragte ich zweifelnd. «Wir hätten irgendeine Lösung gefunden, Lennard! Wenn du mir alles erzählt hättest.»
«Ich wollte, dass du in Sicherheit bist und als ich mitbekam, dass deine Eltern sich scheiden lassen wollten, wollte ich auf jeden Fall, dass du fortgehst.»
«Du hättest mich einfach darum bitten können!», fauchte ich, weil die Erinnerung an seine verletzenden Worte immer noch schmerzte.
«Du wärest aber nicht gegangen, Ska!», brüllte er jetzt. «Verdammt, du wärest doch niemals gegangen, wenn ich dir keinen Grund dazu gegeben hätte! Du hättest mich niemals verlassen, selbst wenn du dafür dein Leben aufs Spiel gesetzt hättest! Was hatte ich denn für eine Wahl, Herrgott?! Ich hatte so eine verschissene Angst um dich und ich wusste absolut nicht, was ich machen sollte! Ich war vierzehn und total durcheinander und verängstigt!»
Ich wusste, dass er Recht hatte. Ich wäre nicht gegangen. Egal was passiert wäre. Und da begriff ich erst, dass ich ihn nie verloren hatte. Dass er immer noch mein Lennard war und niemand sonst.
Es war derselbe Moment, in dem hinter uns ein ohrenbetäubender Knall ertönte, mich irgendetwas mit voller Wucht in den Rücken traf und mich von den Füßen riss und durch die Luft schleuderte.
Kapitel 16
«Blaze?», fragte ich und sah verunsichert zu ihm rüber. Sein Gesicht war verzerrt und ehrlich gesagt machte er mir Angst. Stimmte etwas nicht mit ihm?
«Lass mich in Ruhe, Louise», knurrte er. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt und stand vor mir neben den Fahrradständern.
«Was ist denn los mit dir?», fragte ich und stellte meine Sporttasche ab. Ich hatte gleich Tennis, aber ich würde nicht gehen, ehe er mir nicht sagte, was war.
«Mit mir ist gar nichts los», antwortete er eiskalt. «Du bist die Verrückte, schon vergessen?!»
«Ich bin nicht verrückt!», rief ich trotzig. Lennard lachte los und mir gefror das Blut in den Adern. «Du denkst wirklich, dass du diese Dinge siehst, oder? Du bist so dämlich, Louise! Du bist ein Kind, werd endlich mal erwachsen!»
«Das…» Ich kämpfte verbissen mit den Tränen. Wieso sagte er so was? Dass andere so etwas sagten, war mir egal. Aber Lennard? Er hatte mir immer geglaubt! Mir zitterten die Knie.
«Wimmer nicht rum wie ein kleines Baby! Lass mich einfach in Ruhe und sprich mich nie wieder an!»
«Aber wir sind doch Freunde!», rief ich verständnislos. Was war nur in ihn gefahren?
«Ich will nicht mit jemandem befreundet sein, der nicht ganz richtig im Kopf ist», fauchte er. «Kapier‘s endlich! Verzieh dich von hier, dich mag hier niemand!»
«Du lügst!», schrie ich, während mir die Tränen die Wangen entlang liefen und mein Magen sich verkrampfte. Mir war schlecht.
«Ich lüge?!» Er starrte mich feindselig an. «Ich sag das erste Mal überhaupt die Wahrheit! Ich kann dich nicht ausstehen, Louise! Das konnte ich noch nie! Du bist eine dumme, verrückte Kuh! Ich hasse dich!»
Ich keuchte auf, weil er mich endgültig gebrochen hatte. Es fühlte sich an, als würde ich jeden Moment auseinanderfallen und in Scherben zu Boden fallen. Aber ich stand immer noch und allmählich überwog die Wut in mir. Ich wollte ihm wehtun, irgendetwas machen, damit er das spürte, was ich gerade fühlte.
Ich holte mit dem Schläger aus und schlug zu, mehrmals, bis ich nur noch erschöpft war und sein Gesicht blutüberströmt. Die anderen
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