Schmetterlingsscherben
sind keine schlechten Menschen. Er gehört zu uns, wir sind eine Familie. Es ist wirklich schmerzlich für mich, dass er so schrecklich über uns denkt. Dabei wollen wir für alle nur das Beste. Wer zu unserer Familie gehört, dem versuchen wir, das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Wir beschützen einander, wir sorgen füreinander. Und ich würde mir wünschen, dass du Teil dieser Familie wirst. Ich bin mir sicher, dass sich selbst Lennard dann nicht mehr von uns abwenden würde. Wäre das nicht wundervoll? Alle vereint? Hier oder wo du möchtest. Du könntest diese Familie leiten, weißt du? Du hast die Macht und die Kraft dazu.»
Tatsächlich klang das Ganze besser, als ich erwartet hatte. Meine eigene Familie hatte ich zum Teil verloren und zum Teil hatte sie sich von mir abgewendet. Dass ich hier, so wie ich war, ohne irgendwelche Fragen aufgenommen werden würde und auch noch zusammen mit Lennard leben könnte, klang reizvoll. Aber das war es nicht. Weil ich wusste, dass es falsch war. Und weil ich wusste, dass alles seinen Preis hatte.
«Und was genau müsste ich dafür tun?», fragte ich und ließ die Gabel auf dem Teller liegen, weil ich keinen Hunger und auch keinen Appetit mehr hatte.
«Das, was wir von jedem unserer Familienmitglieder erwarten würden. Alles dafür geben, uns zu beschützen und dafür zu sorgen, dass unser Ansehen und Ruhm vermehrt wird.»
«Sie meinen das Ansehen und den Ruhm, den Ihre Familie mit Gewalt an sich gerissen hat?» Ich blickte ihm direkt in die Augen, auch wenn sie auf diese Entfernung hin wirklich klein waren.
«Es hätte keinerlei Gewalt benötigt, wenn sich niemand aufgelehnt hätte», konterte er. Ich musste lachen, weil er das offenbar völlig ernst meinte. «Also wenn ich Sie richtig verstehe», sagte ich, nur um das nochmal klarzustellen. «Soll ich meine Fähigkeiten dazu einzusetzen, Ihnen einen Aufstieg an die Spitze der gesellschaftlichen Rangordnung der Paranormalen zu ermöglichen?»
«Du würdest uns bloß dorthin bringen, wo wir hingehören.» Er war jetzt aufgestanden und kam zu mir ans Tischende. «Denk doch einmal daran, was für eine Chance das für dich ist.»
«Nein, danke», sagte ich und stand ebenfalls auf. «Ich werde Ihnen nicht helfen, ich will nicht zu Ihrer Familie gehören und ich würde wirklich gerne gehen und einfach nur ein stinknormales Leben führen. Denn ehrlich gesagt, ist das das Einzige, was ich immer wollte und was ich noch nie bekommen habe.»
«Ich fürchte, wir können dich nicht gehen lassen», seufzte Morten nun und packte mein Kinn mit seiner riesigen Hand. «Du wirst uns helfen, so oder so. Egal, welche Maßnahmen das kosten wird.»
«Sie tun mir weh», fauchte ich und funkelte ihn hasserfüllt an. Der alte Mann lächelte grimmig mit seinen schmalen, runzeligen Lippen. «Du solltest dich wirklich besser kooperativ zeigen, sonst wird es hier für dich nicht mehr ganz so angenehm ablaufen, wie bisher.»
«Ist das eine Drohung?!», rief ich und ballte die Hände zu Fäusten.
«Nein.» Morten lächelte und beugte sich zu mir herunter, sodass er mir ins Ohr flüstern konnte: «Das ist ein Versprechen.»
Gänsehaut jagte mir den Rücken hinunter und rasch riss ich mich von seinem Griff los und trat zwei Schritte nach hinten. «Sie können mir keine Angst machen», sagte ich, obwohl meine Finger etwas zitterten.
«Wir werden sehen, ob sich deine Meinung ändert, wenn wir meinen hübschen Enkel aufgespürt haben. Wobei ich mir da ehrlich gesagt keine großen Sorgen mache. Ich denke sogar, dass er vielmehr von ganz alleine hierher finden wird.» Er zwinkerte mir zu. «Schließlich ist er doch hier zu Hause.»
Mein Herz setzte einen Moment aus und ich stolperte weiter nach hinten. «Sie würden es nicht wagen, ihm etwas anzutun», sagte ich nun. «Er ist Ihr Enkel!»
«Und leider kommt er erstaunlich nach seiner Mutter. Ich erkenne mich so gar nicht in ihm wieder!» Morten schüttelte enttäuscht den Kopf und öffnete die Rechte der beiden Flügeltüren. «Alexander? Würdest du bitte das kleine Fräulein wieder zurück in ihr Zimmer bringen, damit sie in Ruhe Zeit hat, über mein Angebot nachzudenken?»
Alex kam wieder herein und nickte mir zu. Eilig wich ich vor dem alten Mann zurück, ohne ihm dabei meinen Rücken zuzukehren.
Ich war zu paralysiert, um irgendetwas zu Alex zu sagen, während wir den Weg zurück durch die Flure gingen. Auch er schwieg. Erst, als wir bei der Tür angekommen waren, die zu
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