Schmetterlingsspiegel (Keshevra's Queendom) (German Edition)
schon so viel Gejammer angehört, da hätte sie ein wenig mehr Zeit und Sorge wirklich verdient, wie sie fand.
Nachdem sie zu Hause eine Weile darüber gebrütet hatte, wie undankbar und ungerecht die Welt sie doch behandelte, entschied sie, sich etwas zu gönnen. Kurzentschlossen rief sie bei ihrer Chefin an und handelte eine Woche Urlaub mit ihr aus. Das war kein Problem, weil derzeit eine Austauschstudentin im Literatur-Café jobbte, die Sabrìannas Arbeit eine Weile übernehmen konnte. Besondere Aufgaben standen momentan nicht an, für die sie unbedingt gebraucht werden würde, außerdem hatte sie in der letzten Zeit so viele Doppelschichten geleistet, dass sie mehr als genug Überstunden auf ihrem Konto hatte. Am nächsten Tag saß sie bereits im Auto, die Koffer auf dem Rücksitz, und war auf dem Weg nach Waterville. Dort hatte sie sich ein Cottage gemietet, nur für ein paar Tage, um auszuspannen und alles hinter sich zu lassen – und in der leisen Hoffnung, dort vielleicht wie beim letzten Mal auf den Musikstudenten zu treffen, der sich seit ihrem Stadtbummel in Dublin nicht mehr bei ihr gemeldet hatte. Nachdem sie ihr Ferienhäuschen bezogen und etwas gegessen hatte, schlenderte sie den Strand entlang und hielt die Augen offen. Doch niemand begegnete ihr, weder Mensch noch Hund. Wo Ethan jetzt wohl war? Wieso er sich wohl nicht mehr meldete? Doch schon im nächsten Atemzug wendeten sich ihre Gedanken dem Drachen zu, und sie vergaß den Mann. Es war einfach unfair, dass sie hier versauern musste, nachdem der Wächter ihr gesagt hatte, sie müsse ihre Verantwortung annehmen. Sie hatte sich dazu bereit erklärt – und war einfach wieder hinaus gekickt worden. Aidan hatte damit sicher nichts zu tun, auch wenn sie ihn nicht gerade nett behandelt hatte, bevor sie gegangen war oder besser gesagt gegangen worden war. Er hatte ihr geholfen, die Kratzer waren längst nicht mehr zu sehen und auch nicht zu spüren. Dass sie die Art und Weise, wie er ihr geholfen hatte, ziemlich unappetitlich fand, dafür konnte er ja nichts. Damit hatte er sicher nicht gerechnet, sie nicht absichtlich getäuscht deswegen. Sie wünschte, sie könnte sich bei ihm für ihre Überreaktion entschuldigen. Seufzend setzte sie sich auf eine Mauer und starrte aufs Meer hinaus. Waterville hatte vielleicht nicht den objektiv schönsten Strand Irlands, doch sie hatte es schon immer hierher gezogen, seit ihre Eltern sie zum ersten Mal auf eine Rundreise mitgenommen hatten, um ihr ihre Heimat zu zeigen. Damals war sie vielleicht fünf oder sechs gewesen und hatte die Autofahrt um den Ring of Kerry genossen, mehr jedoch den Aufenthalt in Connemara, natürlich wegen der Ponys, und die Begegnung mit Funghi, dem Delphin in der Bucht von An Daingean, wie Dingle bei den Einheimischen heißt.
Doch aus Waterville hatte sie gar nicht mehr weg gewollt, obwohl es dort keine besonderen Tiere oder sonstige augenfällige Attraktionen gab. Sie hatte stundenlang am Strand gespielt, Softeis gegessen, sich Lieder vorsingen und Geschichten erzählen lassen, Sandburgen gebaut, Höhlen gebuddelt und sie mit fantastischen Wesen bevölkert. In ihrer Fantasie war sie eine verwunschene Elfe gewesen, gefangen in der Menschenwelt, wartend auf ihren Helden, der sie hier abholte und ihr zeigte, wie die wahre Welt aussah, die hinter den grauen Fassaden und dem regnerischen Wetter… Sie stutzte und hob den Kopf. Hatte sie damals schon geahnt, dass hinter den Spiegel eine ganz besondere Welt auf sie wartete? Nein, das waren kindliche Träumereien gewesen. Kein Wunder, dass sie sich damals so gern darin verloren hatte. Ihr kamen Zweifel, ob ihre Begegnung mit dem Drachen wirklich echt gewesen sein konnte. Vielleicht hatte sie sich ja doch alles eingebildet? Je mehr Zeit verging, desto verschwommener wurden ihre Erinnerungen. Wie ein kindlicher Traum, es konnte doch nicht wahr sein – oder? Wieso saß sie dann hier und konnte nicht dorthin zurück? Wütend sprang sie auf. Nein, sie würde sich nicht einreden, dass sie das nur geträumt hatte. Sie war dort gewesen, die Gefahr war real, Aidan war real. Er musste real sein, nicht nur eine Fantasterei! Ihre Füße trugen sie den Strand entlang, sie wurde schneller und schneller, bis sie schließlich völlig außer Atem und mit schmerzenden Muskeln stehen blieb und nach Luft schnappte. Ihre Wut war nicht verraucht, im Gegenteil, sie erfüllte sie vollkommen, bis sie das Gefühl hatte, sie müsste deswegen gleich platzen.
Weitere Kostenlose Bücher