Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
abgemacht, sie würde gleich nach dem Gespräch mit Hauschild
anrufen. In Anbetracht der letzten Vorfälle hatte er ihr eingeschärft, dass er sie
in jedem Fall direkt vor dem Polizeirevier abholen würde – und sie war einverstanden
gewesen. Sollte er ihre Nummer wählen? Er hatte sich noch nicht entschieden, als
sein Blick zufällig auf das kleinste Fenster des Eisenring-Hauses fiel – und er
erneut zusammenzuckte. Das Fenster war gekippt worden. Und zwar erst nachdem Frau
Eisenring gegangen war. Oder?
John saß
auf einmal ganz aufrecht. Fahrig strich er sich durchs Haar. »Du und dein Riecher«,
brummte er. Etwas brachte ihn dazu, auszusteigen und auf dem Gehsteig in Richtung
des Hauses zu spazieren, betont unauffällig. Er ging daran vorbei und drehte sich
dann um. Auf der anderen Straßenseite schlenderte er zurück, erneut am Haus vorbei,
um anschließend beim Fiesta stehen zu bleiben. Der Kioskbesitzer hatte erzählt,
Eisenrings Mutter sei Witwe und habe außer Piet keine Kinder. Jemand aus der Nachbarschaft
hatte erklärt, Piet erst vorgestern gesehen zu haben. Piets Mutter hingegen hatte
gesagt, er wäre seit Monaten nicht mehr zu Hause gewesen.
In Gedanken
versunken beobachtete John das Auto eines Paketdienstes, das gerade vor dem Haus
Frau Eisenrings hielt. Ein Mann stieg aus, stiefelte auf die Eingangstür zu und
klingelte. Nichts geschah. Erneutes Klingeln. Und dann – eine Gardine wurde bewegt,
ganz leicht nur, doch John hatte es bemerkt. Völlig konzentriert war er auf einmal.
Langsam setzte er sich in Bewegung. Nur aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie der
Paketbote zum dritten Mal auf die Klingel drückte. Und unbewusst ballte er die Faust,
als die Tür einen Spaltbreit aufging. Das Gesicht eines etwa 25-jährigen Mannes
erschien im Rahmen.
John war
so nahe, dass er die Stimme des Boten hörte. »… ist echt ein ziemlich großes Paket.«
»Kein Wunder,
da ist ein Trainingsgerät drin.«
»Aha, verstehe.
Für die Muckis. Also, könnten Sie mir helfen? Ausgerechnet heute hab ich blöderweise
den Rolli im Lager vergessen.«
Automatisch
verringerte John sein Tempo.
Der Paketzusteller
und sein Adressat, in Trainingshose, T-Shirt und Schlappen, gingen hintereinander
auf den Lieferwagen zu. Sie befanden sich nicht mehr auf dem Eisenring-Grundstück,
als John zu ihnen gelangte.
»Piet Eisenring?«
Johns Stimme hallte einen Moment eigenartig fremd in der Luft wider.
Der junge
Mann sah auf. Wie überfahren, vollkommen entsetzt. Er war etwas kleiner als John,
mit leichtem Bauchansatz und dunklem, mit zu viel Gel zurückgekämmten Haaren. Sein
Blick hetzte zum Hauseingang, doch John war schon dabei, ihm den Rückweg zu versperren.
»Scheiße!«,
platzte es aus Eisenring. Ein Flackern in seinen Augen, eine hilflose Geste mit
der Hand – und dann sauste er einfach los, wobei er den erstaunten Paketzusteller
heftig rempelte.
»Hey, Eisenring!«
John stand einen Moment verblüfft da, ehe er selbst losrannte.
Eisenring
wurde schneller. Er stürmte zwischen zwei Häusern hindurch, dann in eine schmale,
gekieste Gasse, die sich zwischen Schrebergärten entlangschlängelte. »Ich hab doch
gesagt, ich zahl noch«, hörte John die Stimme des Mannes verzweifelt aufkreischen.
»Ehrlich! Verdammte Scheiße! Ehrenwort!«
»Dann bleib
endlich stehen«, rief John, unter dessen Sohlen der Kies knirschte. Die offensichtliche
Furcht trieb den Flüchtenden weiter an, schien ihn schneller und schneller werden
zu lassen. Bis der Weg eine scharfe Kurve beschrieb – einer seiner Schlappen wurde
Eisenring zum Verhängnis. Der Schuh rutschte vom Fuß, der Mann stolperte und landete
hart auf der Erde.
Und schon
war John bei ihm.
Was er sah,
war die gleiche Angst, die bereits bei den ersten Worten in Eisenrings Augen geflackert
hatte. »Nicht schießen!«, schrie der Mann, der gar nicht erst versuchte, wieder
auf die Beine zu kommen. Er kniete auf dem Boden, den Kopf weit nach vorn gebeugt,
die Hände schützend über den Nacken gestülpt, als erwarte er Schläge, und überprüfte
nicht einmal, ob überhaupt eine Waffe auf ihn gerichtet war. »Ich zahle! Mann, ich
zahle! Echt! Glaub’s mir, Mann!«
John starrte
auf ihn herab – da hatte er so lange darauf gehofft, Piet Eisenring zu finden, und
nun nahm die Unterhaltung mit ihm einen ziemlich sonderbaren Verlauf. »Nun beruhige
dich erst mal«, sagte er ratlos, und diese Ratlosigkeit gefiel ihm nicht.
»Mann, ich
hab letztes Mal schon von euch auf die Knochen
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