Schmidts Bewährung
Schultern ist lächerlich lang und betont noch die Uneleganz des Rockes, der gut fünfzehn Zentimeter unter dem Knie endet. Dazu plumpe schwarze Schuhe mit hohen Blockabsätzen. Wie konnte man sich nur so anziehen, und das am herrlichsten aller Sommertage, an dessen Ende noch ein Ausflug aus der Stadt an den Strand vorgesehen war? Mysterien der Mode und unerfüllter Hoffnungen. Das ist ihre Sache, nicht deine, Schmidtie.
Ich bin so froh, dich zu sehen, mein Schatz. Grüß dich. Der Wagen steht gleich gegenüber.
Es tut gut, aus der Stadt herauszukommen. Aber du hättest mich nicht selbst abholen müssen. Ich hätte doch ein Taxi nehmen können.
Auf den Gedanken bin ich gar nicht gekommen.
Natürlich nicht, und wenn doch, dann hätte Schmidt ihn sofort ärgerlich beiseite geschoben. Gibt sie mir Zeichen einer ganz neuen Rücksichtnahme, die bedenklich an Unterwürfigkeit grenzt? Oder ist dies die erste Feuersalve, die den alten Knaben aufschrecken, zur Ordnung rufen soll? Wenn ja, wozu? Sehr wahrscheinlich steckt nichts dergleichen dahinter: Es ist ihr einfach gleichgültig. Sie hat den Bus genommen, weil sie etwas Bestimmtes mit ihm persönlich besprechen will, mehr ist es nicht, jedenfalls nichts, was ihr Herz schneller schlagen läßt. Irritiert von ihrem Schweigen und unwillig, als erster zu sprechen, schaltet er das Radio an. Rigoletto wird gesendet, seine Lieblingsszene, in welcher der alte Clown flehentlich bittet, Marullo und seine Komplizen möchten ihm sagen, was sie mit der entführten Gilda gemacht haben.
Kannst du das abstellen, Dad?
Natürlich.
Sie heißt Carrie, stimmt’s? Ist sie da?
Carrie Gorchuck. Ja, sie ist zu Hause. Sie hat sogar ein sehr schönes Essen für uns gekocht.
Ich weiß nicht, ob mir nach Essen zumute ist.
Wie du willst. An deiner Stelle würde ich kurz schwimmen gehen, diese Al-Capone-Verkleidung loswerden und zu Tisch kommen – ob du etwas ißt oder nicht. Andernfalls wäre ich wirklich verstimmt. Und vor allem: Bitte keine Widerworte.
Selbstverständlich, Dad. Danke für das reizende Kompliment über meine Kleider.
Die sind schon recht, Kleines. Ich wollte nur was Komisches sagen. Du kennst mich und meinen Humor doch.
Ist schon recht.
Das sagte sie, damit er nicht ihr Gepäck trug. Er nickte, obwohl sie sich nicht die Mühe machte, zu ihm hinzusehen, und wartete neben dem Auto. Eine wunderbare Nacht! Der Mond war irgendwo hinter dem Horizont verlorengegangen, so daß sein Licht den Sternen am schwarzen Himmel keine Konkurrenz mehr machte. Alle Sternbilder, die Schmidt kannte, waren in voller Schönheit zu sehen. Keine einzige Mücke war unterwegs, und die Brise vom Meer war so leicht, daß er sie kaum spürte. Ein Fliegengitter schlug. Es gehörte zur Tür am Poolhouse. Seine Bemerkung war verdammt überflüssig gewesen – warum hatte er nicht dieses eine Mal auf einen dummen Witz verzichten können? Es hatte keinen Zweck, ihr nachzugehen und um Frieden zu bitten – sie würde nicht zuhören. Er mußte sich in Geduld fassen. Wenn sie sich nicht im Bus an Erdnüssen und Salzstangen satt gegessen hatte – und das paßte gar nicht zu ihr –, dann konnte er darauf bauen, daß sie nach der Fahrt hungrig war. Der Hunger würde sie an den Tisch treiben. Zum Glück hatte er den Kühlschrank im Poolhouse nicht aufgefüllt. Und falls sie böswilliggenug war, trotzdem nicht zum Essen zu kommen, würde er sie gleich am nächsten Morgen postwendend nach New York zurückschicken. Würde Carrie ihm dann erklären, er sei nicht bei Trost, oder würde sie ihm zu seiner Charakterstärke gratulieren?
Ich bin da.
Als Charlotte sich dergestalt in der Küche bemerkbar machte, hatten die beiden schon mit dem Essen angefangen. Für Charlotte war noch gedeckt, Schmidt hatte ihr Gedeck zwar abräumen wollen, aber Carrie war dagegen gewesen. Sie sagte: Mach ihr doch keinen Terror. Was ist, wenn sie badet, oder wenn ihr nicht gut ist, oder was weiß ich? Das Essen ist sowieso kalt.
Schön, daß du da bist. Setz dich doch und nimm dir was. Ich gieße dir Wein ein. Carrie kennst du schon, glaube ich.
Hi, Charlotte.
O ja.
Sie deckte die Hand auf das Weinglas, griff nach dem Wasserkrug und zögerte dann.
Hast du noch Perrier oder anderes Mineralwasser?
Im Kühlschrank. Du weißt, daß das Wasser hier immer noch aus unserem eigenen Brunnen kommt.
Okay, dann trinke ich Leitungswasser. Seit wann ißt du in der Küche zu Abend?
Schon immer, wenn wir nicht viele sind und keine Aufwartung
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