Schmidts Bewährung
hielt und die Schmidt ganz unbekannt war. Die Sachen sind sicher oben, im Doppelzimmer, oder? Dann auf dem Weg nach draußen: Schönen Tag noch, Mr. Schmidt. Möglich war auch, daß sie anrufen und abwechselnd lachen und lügen würde. Sie hatte ihn noch nie angelogen, dessen war er sich gewiß, also würde er es sofort merken, wenn sie damit anfinge. Aber einfach so wiederzukommen! Nur mit größter Mühe schaffte er es, aufzustehen und zu krächzen: Das sehe ich, das sehe ich. Völlig absurd schob er noch nach: Bitte, mach dir’s doch gemütlich. Dann tat er so, als sähe er weiter seine Rechnungen durch, dabei zitterten ihm die Hände, und seine Augen brannten. Carrie war schon die zweite Überraschung an diesem Morgen, vielleicht war das der Grund dafür, daß ihn ein unglaublicher Stumpfsinn – nein, viel schlimmer, eine totale Erstarrung – befallen hatte; sein Denken, Fühlen, sein ganzer Körper war wie betäubt.
Die erste Überraschung hatte auf ihn gewartet, als er morgens mit der Zeitung in der Hand wiederkam: Bryan war da, saß am Küchentisch und hatte den rechten Daumen im Mund. Kaute am letzten Nagelrest, genau wie in alten Zeiten. Der Melitta-Topf war halb leer, weil Bryan Kaffee gekocht und sich dann – ganz vernünftig – einen Becher voll eingeschenkt hatte. Sein Matchsack stand auf der Arbeitsplatte. Sonst nichts: keine Rolle mit tantrischen Bildern, kein Werkzeugkasten. Keine voreiligen Schlüsse, Schmidtie, vielleicht ist das Zeug in der Abstellkammer, nur außer Sichtweite. Und keine Spur von Bart. Nur der übliche Einheimische, dem du zuviel Vertraulichkeit imUmgang erlaubt hast; jetzt ist er mit dem Flugzeug den ganzen weiten Weg von Florida zum JFK gereist und mit wer weiß welchem Verkehrsmittel zu dir nach Hause gekommen, und sitzt da nun und ist schon auf dem Sprung, dich zu erpressen; ohne daß du eine Chance hast, erst einmal in Ruhe zu frühstücken. Der Pferdeschwanz war auch nicht mehr da. Doch Bryan hatte sich den Kopf kahlgeschoren; quer über seinen höckerigen Schädel zog sich eine häßliche Narbe. Ein Andenken an eine leere Bierflasche? Aber immer wohlerzogen. Kaum sah er Schmidt, stand er auf, warf einen verlegenen Blick auf den Nagel, trocknete sich den Daumen am Hosenboden seiner Jeans ab und streckte Schmidt die Hand entgegen. Immer langsam, Bübchen. Schmidt zog es vor, Distanz zu halten, und winkte ihm mit der Zeitung in seiner Rechten. Denn dies war wirklich unfair. Er hatte noch nicht mit Bryan gerechnet. Auf den Gedanken, daß Bryan zu dieser Morgenstunde mit dem Bus oder der Bahn hier eintreffen könnte, war er gar nicht gekommen.
Hi, Albert, da bin ich. Voll gutes Gefühl, wieder hier zu sein.
Nicht zu glauben: Bryan war richtig dünn geworden. Da er, solange Schmidt ihn kannte, kein Fett auf den Rippen hatte, mußten wohl seine Muskeln weniger geworden sein. Blaß war er auch und hatte gelbe Ringe unter seinen enttäuschenden unsteten Augen. Florida war ihm nicht bekommen. Vielleicht hatte er schon im Gefängnis gesessen. Sein Aussehen machte alles irgendwie noch schlimmer. Deshalb reagierte Schmidt nicht auf Bryans Gruß, sondern legte die Times auf den Tisch und setzte sich. Mit dem Tee, den er so gern getrunken hätte, mußte er nun warten. Er goß sich den restlichen Kaffee in den Becher, den Bryan hingestellt hatte.
Albert, was ist denn los? Ich fasse es nicht. Willst du garnichts sagen, nicht mal Hallo? Ich habe dir Bescheid gegeben, daß ich komme. Ich brauche eine Unterkunft. Du bist doch sonst nicht so.
Sollte er ihm gleich jetzt und hier den Star stechen, egal was passierte, selbst wenn der kleine Mistkerl durchdrehte? Ha! Laut Carrie hat sie sich immer auf Kommando von ihm bumsen lassen, nur damit er nicht ausrastete. Wie wäre es zum Beispiel mit der Eröffnung: Du faßt es nicht? Ich verstehe sehr gut. Du sollst dich von diesem Haus fernhalten, habe ich dir erklärt, und du sollst mich anrufen und fragen, ob wir uns treffen können. Statt dessen machst du dich in meiner Küche breit. Das ist ein Riesenfehler. Du bist hier nicht zu Hause. Krieg das mal in deinen Schädel und verschwinde. Daraufhin würde er das unerträgliche Gewinsel zu hören bekommen: Mensch, Albert, das kann ich nicht ab. Du bist so wütend. Warum denn? Kennst du mich nicht mehr? Ich bin doch Bryan. Den ganzen Sommer lang habe ich dich gepflegt, gebadet, gefüttert und alles. Warum führst du dich so auf? Wo ist Carrie? Jemand muß mir doch erklären, was hier vorgeht. Und
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