Schmidts Bewährung
genetische Zwänge am Werk – frag mich nicht warum, von Genetik verstehe ich nicht die Bohne. Mehr und mehr neige ich jedoch dazu, nicht der Erziehung, so wie du und ich sie verstehen, oder der Umgebung, in der Kinder aufwachsen, den prägenden Einfluß auf die Kraft und Heiterkeit eines Kindes zuzuschreiben. Ach verdammt, daß es glücklich sein kann und einen guten Charakter hat! Zweitens frage ich mich, ob die Oberschicht – wenn ich mir die Chuzpe erlauben darf, mich und meine zwei Ehefrauen dazuzurechnen – nicht einfach das Talent verloren hat, Kinder großzuziehen. Mir ist klar, daß das gegen meinen ersten Punkt spricht, aber wenn du meine Behauptung testen willst, mußt du nur mal in die Eisdiele nebenan gehen, ein Rumrosineneis bestellen und die kleinen Kellnerinnen beobachten. Wie alt werden sie sein, vierzehn, sechzehn? Ein paar sind wahrscheinlich gerade dreizehn Jahre alt. Ich bin aus der Übung, kann das Alter von Kindern nicht mehr gut schätzen. Und bei denen wirst du dieses hinreißende natürliche Lächeln sehen, ein Aufblitzen in den Augen, eine Höflichkeit, mit der man im Buckinghampalast auftreten kann, und dazu arbeiten sie sich die Finger wund und tun sich überhaupt nicht leid dabei. Wer sind deren Eltern? Ich habe nie danach gefragt, aber ichwette, es sind die einheimischen Handwerker oder Leute, die noch eine Spur besser gestellt sind. Der kleine Malermeister, der Eigentümer der Eisenwarenhandlung, vielleicht der Kammerjäger. Irgendwie haben diese Leute es geschafft, für sich und auf jeden Fall für ihre Kinder ein Gleichgewicht zwischen Erwartung und eigener Bemühung zu halten. Und Raum für das Gefühl, etwas erreicht zu haben, sowie für Dankbarkeit. Ich mag diese Leute sehr, ehrlich. In Carrie steckt auch etwas davon, meine ich. Drittens, und das ist der bizarrste Teil und der, der am meisten weh tut: Ich habe gemerkt, daß es dir nicht gelohnt wird, wenn du gut zu deinen Kindern bist. Das kannst du an geschiedenen Ehen beobachten. Nicht die Mutter oder der Vater, die sich für die kleinen Scheißer krumm legen – die sich immer zuständig fühlen, immer da sind, wenn sie gebraucht werden –, nicht die sind die lieben Mamies und Daddies, denen man Zärtlichkeit und Achtung zeigt, sondern im Gegenteil, diese Gefühle ernten die schrecklichen Elternteile, die immer nur Szenen machen und den Kindern ein Vogelhaus aus dem Versandkatalog oder Wollsocken zur Hochzeit schenken. Jedenfalls haben die Kinder Angst vor diesen schlechten Müttern und Vätern. Sie gehen auf Katzenpfötchen, um nur ja keinen Wutanfall zu provozieren. Das ist immerhin etwas – mehr als du und ich bekommen. So, und was hast du nun mit Carrie vor?
Ich weiß nicht. Mehr und mehr habe ich den Eindruck, daß sie das entscheiden muß.
Am Abend erzählte er Carrie von Chocolate Kisses und der Einladung zum Essen bei Blackmans. Gil und sie kamen gut miteinander aus. Sie rief ihn sofort an, um ihm zu gratulieren, sprach statt dessen auf seinen Anrufbeantworter und versank dann in Nachdenken. Das sah man ihrimmer an. In solchen Fällen setzte sie sich auf das breite Sofa in der Bibliothek, zog die Beine unter sich und kreuzte die Arme über dem Kopf wie ein Baby, das Rückenschwimmen übt. Nach einer Weile sagte sie, sie wolle in der Küche telefonieren. Als sie wiederkam, dachte sie noch ein wenig nach und sagte dann: Hey, Schmidtie, findest du’s in Ordnung, wenn ich nicht zum Essen mitkomme? Ich habe mit Jason geredet. Er fährt morgen abend nicht für Mike. Ich möchte ihn gern sehen, eigentlich. Ins Kino gehen oder so.
Das sei schon in Ordnung, bemerkte er.
Rufst du dort an?
Ja, aber nicht gleich. Dann müßte ich auf den Anrufbeantworter sprechen, das mag ich nicht so gern.
Aber du vergißt es nicht?
Versprochen. Außerdem kannst du mir ja einen Merkzettel ans Telefon in der Küche kleben. So wichtig ist es sowieso nicht. Er sagte, sie würden nur Mike Mansour einladen. Sie müssen Blauem Filzpantoffel nur sagen, daß sie vier statt fünf Gedecke auflegt.
Für mich ist es wichtig, daß du anrufst. Ich will dir und deinen Freunden nicht alles vermasseln.
Mach dir keine Sorgen.
Er ging zu ihr, kniete nieder und küßte ihr die Hände, weil ihm klargeworden war, daß sie sich in einer Zwickmühle fühlte und daß sie sich sogar fragen mochte, ob sie sich nicht selbst alles vermasselt hatte. Armer kleiner Tramp! Ihm fielen so viele Möglichkeiten ein, wie er ihr helfen konnte, aber er fürchtete, wenn
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