Schmidts Einsicht
genommen: Er tat gerade so viel für Klein Albert – und folglich für Carrie –, daß ein winziger Teil der Zuneigung abfließen konnte, die sich in ihm bis zum Rand aufgestaut hatte. Er hoffte, daß er nicht zuviel des Guten tat, daß er nicht im Weg stand. Die Erfahrung lehrt, daß die Rolle des guten Großvaters – ob man sie de facto oder de iure übernimmt – keine Vollzeitbeschäftigung ist, es sei denn, man wohnt in der Abgeschiedenheit der Alpen und hat das Glück, der kleinen Enkeltochter Heidi Platz in der Almhütte und im eigenen spröden Herzen einräumenzu können. Oder sich in einer vergleichbaren Lage zu befinden. Deshalb dachte Schmidt zwar oft an den kleinen Albert und spürte dabei eine angenehme Wärme in der Herzgegend, besuchte ihn und seine Eltern, wenn er in Bridgehampton war, so oft, wie er es für angemessen hielt, aber Alberts Albo zu sein – Albo war der Spitzname, den Schmidt sich ausgedacht hatte, weil er fürchtete, daß der Kleine das Wort Schmidtie nicht ganz richtig aussprechen würde – war nicht einmal ein Teilzeitjob. Es trug wenig dazu bei, die Leere seiner Tage und Nächte zu füllen.
Die Arbeit für die Stiftung hatte mehr heilende Wirkung. Alte Gewohnheiten vergehen nicht. In seiner Zeit als Anwalt hatte Schmidt immer hart gearbeitet und über ein erstaunliches Konzentrationsvermögen verfügt, das ihn abgeschirmt hatte gegen Lärm, Unterbrechungen, Unbequemlichkeiten und, wie er genau wußte, auch gegen Gedanken, die nichts mit seiner Arbeit zu tun hatten. Womöglich war diese Abschirmung, diese absolute Fixierung auf unmittelbar anstehende Aufgaben, der tiefere Grund für Charlottes Vorwürfe in den ersten Streitereien mit ihm, die sie ihm nach der Verlobung mit Jon zumutete. Sie hatte ihn beschimpft, weil er seine bewährte alte Sekretärin beauftragt hatte, ihr Nachrichten zu übermitteln, Reisereservierungen zu machen und in seinem Terminkalender Zeit für ein Telefongespräch mit seiner Tochter einzutragen. Das gleiche Konzentrationsvermögen sorgte jetzt dafür, daß er bei Verstand blieb.
Zu seiner Überraschung und dann zu seiner Erheiterung merkte Schmidt, daß seine Arbeit für die Stiftung ihm das Tor zu einem gesellschaftlichen Milieu öffnete, in dem er zum Mittelpunkt wurde. Es bestand aus Kunst- oder Kulturbeauftragten oder Kulturdirektoren – der Erfindungsreichtum der Nomenklatur, die benutzt wurde,um die Tätigkeiten von Spendenbeschaffern und Werbeagenten aufzupolieren, war verblüffend –, die neuerdings seinem Club beigetreten waren. Geblendet von Mike Mansours Vermögen, sahen sie in Schmidt das Vademekum zu den Mansourmilliarden. Daß die Stiftung nur im europäischen Raum arbeitete und keine Spenden an amerikanische Institutionen vergab, schreckte sie nicht ab, da sie eine Sondervereinbarung oder eine neue Wohltätigkeitsinitiative immer für möglich hielten. Wahrscheinlich lief einigen von ihnen, die in bescheidenerem, personenbezogenem Maßstab dachten, das Wasser im Munde zusammen, wenn sie sich die Vorlesungen und Seminare vorstellten, die sie in Prag, Warschau oder Budapest oder auch an weniger romantischen Orten halten könnten, da Honorare winkten und alle Aufenthalts- und Reisekosten einschließlich Flügen erster Klasse erstattet würden. Schmidt hatte keine moralischen Vorbehalte gegen solche Kalkulationen, er begriff nur zu gut, daß all diese gepflegt gekleideten Damen und Herren Häuser und Wohnungen finanzieren und ihre eigenen und vielleicht auch andere Münder stopfen mußten. Aber, ewiger Ästhet, der er war, fand er die Nomenklatur und die Jagd nach Geschäften und persönlichen Vorteilen in einem Club so unattraktiv wie einen Flecken im Teppich. Das war ein Verstoß gegen die bewährte Ordnung und Sittlichkeit.
Seit es The New York Review of Books gab, war Schmidt ein treuer Leser der privaten Anzeigen gewesen, nicht weil er nach einem restaurierten Bauernhaus aus dem fünfzehnten Jahrhundert in Umbrien oder einem Studio mit unverkleideten Backsteinwänden und Deckenbalken auf der Ile Saint-Louis suchte, auch nicht, weil er eine steigerungsfähige intime Beziehung mit einer geschiedenen jüdischen Akademikerin aus Boston aufnehmen wollte, diezu Reisen bereit war, sondern weil ihn diese Anzeigen als stilistisch perfekte Mitteilungen reizten, ins Blaue geschossen wie Pfeile, die womöglich im Herzen einer verwandten Seele auf der Upper West Side landeten.
Seine Lebensumstände hatten sich geändert. Er fand sich bereit,
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