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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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daß man nicht einschätzen konnte, ob Charlotte nur dicklich aussah oder tatsächlich zugenommen hatte. Sie stand nicht auf, als er eintrat, und reagierte auch nicht auf seine Begrüßung. Hallo, Charlotte, Liebes, ich bin so froh, daß ich dich besuchen kann! Er merkte, daß er nicht wagte, sich zu ihr hinunterzubeugen und sie zu küssen.
    Beinahe hätte er die Achseln gezuckt, aber er unterdrückte die Bewegung, setzte sich in den anderen Sessel, der ihr gegenüber an einem niedrigen Tisch stand, und sagte, ich habe dir ein paar Bücher mitgebracht, die dir gefallen könnten, ein Radio, einen CD-Spieler und ein paar CDs. Man hat mir gesagt, daß du in deinem Zimmer Musik hören darfst.
    Sie nickte und sagte einen Moment danach: Die Bücher kannst du wieder mitnehmen. Ich lese nichts. Danke für die CDs. Wahrscheinlich nur Mozart.
    Sie hob die Tragetasche hoch, machte sich aber nicht die Mühe, hineinzuschauen.
    Nein, sagte Schmidt, nur zwei Mozartaufnahmen. Es isteine eklektische Auswahl. Sogar Michael Jackson und The Grateful Dead sind dabei. Für jeden Geschmack etwas.
    Ach ja? Es ist dieses Mädchen. Die, mit der du ein Kind hast. Du hast sie zum Einkaufen für mich geschickt.
    Du meinst wohl Carrie, erwiderte Schmidt.
    Charlotte nickte.
    Um das klarzustellen, sie hatte nichts mit diesen CDs zu tun. Ein junger Mensch aus der Stiftung, in der ich arbeite, hat einige davon vorgeschlagen. Die klassische Jazz- und Ragtimemusik habe ich selbst ausgesucht, auch ein paar Jelly-Roll-Morton-Aufnahmen, die dir gefallen werden, glaube ich. Und übrigens ist Jason der Vater von Carries Kind. Das Leben ist hart genug, eingebildete Probleme braucht man nicht auch noch.
    Klar.
    Die Leute hier, die im Empfang arbeiten, und die Krankenschwester, die mich hierhergebracht hat, machen einen sehr freundlichen Eindruck, und ich habe gesehen, daß es einen schönen großen Garten gibt.
    In den Garten gehe ich nicht. Die anderen Irren will ich nicht sehen. Schlimm genug, daß ich mich sehe.
    Es tut mir so schrecklich leid.
    Er suchte nach Worten, und ihm fiel nichts ein. Es war alles zu dumm.
    Siehst du, Dad, sagte sie nach einer Weile, ich bin krank. Nicht mehr so krank, wie ich war, aber immer noch reichlich krank. Du hast dich mit Alan Townsend getroffen, also weißt du Bescheid. Es hat keinen Sinn, dir oder mir was vorzumachen. Ich habe schwere Sorgen. Werde ich hier wieder herauskommen? Wann komme ich raus? Will Jon mich wiederhaben? Was wird ihm dieses Scheusal Renata vorschreiben? Werde ich wieder arbeiten können? Was soll aus mir werden?
    Sie fing an zu weinen und stieß ihn ärgerlich weg, als erzu ihr kam und ihr über den Kopf streichen und sie in die Arme nehmen wollte.
    Nein, ich will dein Taschentuch nicht, nein, ich will nicht, daß du mich küßt. Ich habe schwere Probleme, und du kannst mir nicht helfen. Zuviel schlimmes Zeug steht zwischen uns. Ich müßte wohl dankbar sein, daß du für dieses Loch und für Alan bezahlst, aber ich bin es nicht. Also geh bitte. Ich hab dich kommen lassen, damit du verstehst. Und jetzt geh weg.
    Schon gut, sagte er. Ich will dich nicht ermüden. Bitte laß mich wissen, wenn du beschließt, daß du mich gern sehen würdest. Oder wenn ich helfen kann. Für den Fall, daß ich irgend etwas tun kann.

XIX
    Der Herr segnete Hiob hernach mehr denn je zuvor. Er gab ihm Schafe, Kamele, Rinder und Eselinnen zu Tausenden, sieben Söhne und drei Töchter, so schön, wie sie in allen Landen nicht gefunden wurden. Hiob lebte so lange, daß er sah Kinder und Kindeskinder bis in das vierte Glied. Widerwärtiger Sadismus, dachte Schmidt, und danach eine abscheulich rohe Abfindung. Der Herr konnte seine Rinder behalten. Kein Zuwachs an irdischen Gütern würde Charlottes Gebärmutter wieder herstellen. Kinder und Kindeskinder würde es nicht geben, keinen kleinen Myron, Albert, keine Renata oder Mary (der Name der Jungfrau wäre ohnehin ein Anathema für Charlotte und ihren Ehemann gewesen). Statt dessen litt sie unter Acedia, Angst und Verwirrung. Verweigerte sich der Schönheit und den Freuden im Leben! Verkroch sich in einem Kleiderschrank! Verwandelte sich in eine jämmerliche, bitterzüngige Vogelscheuche! Wenn er an die Katastrophe dachte, krampfte sich alles in seinem Inneren zusammen. Ja, er würde auf Heilung für sie hoffen oder wenigstens auf eine lange Remission. Dr. Townsend hatte ihm erklärt, daß beides möglich sei. Das war auch die Einschätzung eines Autors, dessen Abhandlung er auf

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