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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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unverfänglich und offiziell erklärte er: Ich bin so froh, daß ich wieder hier bin und daß ich vor Juni nirgendwohin verreise. Hoch sollen sie leben, Albert, Mama und Papa und der Doktor!
    Schmidtie, das ist noch nicht alles, erwiderte Carrie. Wir haben den Vertrag für das Haus in East Hampton unterschrieben. Die Übergabe ist in acht Wochen, damit die Leute, die dort wohnen, Zeit zum Ausziehen haben, und die Kumpels können dann gleich danach mit den Arbeiten anfangen. Du hast uns noch vor dem Labor Day vom Hals!
    Vom Hals! Niemals! Meine Tür steht euch immer offen, wenn ihr hier seid, ist dies euer Zuhause.
    Sie sagten, es sei Zeit für die Marina, und er begleitete sie zum Hauseingang. Er hielt ihnen die Tür auf und sah zu, wie sie in Jasons Pickup stiegen. Seine Wahlfamilie: seine junge Mätresse, der blonde Riese, der sie ihm redlich und mit Recht weggenommen hatte, und das geheimnisumwobene Kind, das jetzt auf die Welt kommen sollte.
    Neun Uhr. In einer halben Stunde konnte er Charlotte ohne Risiko anrufen. Er schenkte sich noch einen Kaffee ein und fing an, die Post durchzusehen. Neunzig Prozent gehörten in den Papierkorb. Der Rest waren Rechnungen, die er beiseite legte, ebenso wie seine Kontoauszüge und die Mitteilungen von seinen beiden Anlageberatern, die anscheinend immer mehr Berichte über die jetzige und zukünftige Wirtschaftslage verschickten. Aus Pflichtgefühl überflog er sie. Was für eine Papierverschwendung! Jeder Leser der Times wußte, daß George Bush seinem Nachfolger Clinton ein Desaster hinterlassen hatte, das die Republikaner offenbar noch mit allen Mitteln verschlimmern wollten, aber die Anlageberater brachten es fertig, das Gute in ihren Betrügereien zu sehen. Natürlich waren ihre Kunden nicht alle solche Eigenbrötler wie Schmidtie, der seiner gesellschaftlichen und ökonomischen Klasse abtrünnig geworden war. Die armen Kerle mußten ihrem Publikum Zucker geben. Das Land hatte wirklich Besseres verdient als diesen dümmlichen Bush mit seiner dümmlichen Persönlichkeit und seinen dummen Angewohnheiten. Offenbar war es leichter, das Land zum Narren zu halten als die eigenen Mitschüler. Schmidt kannte Leute, die, älter als er, gleichzeitig mit Bush in Andover gewesen waren und bestätigen würden, daß er schon damals ein Scheusal war. Trotzdem fand Schmidt es beunruhigend, daß er es so eilig hatte, ein Urteil zu fällen und Menschen zu verdammen. Dieser dümmliche Bush. Dieser widerwärtige Popov. Warum war Popov eigentlich so widerwärtig, schon damals auf dem College und bis heute?
    Daß Popov Bulgare war, half natürlich nicht weiter. Schmidt wußte nichts über Bulgaren, konnte sie aber nicht leiden. Sie waren ein rückständiges Volk, glaubte er, ganz durchdrungen von ihrer östlichen orthodoxen Religion, sie schrieben kyrillische Buchstaben und hatten bärtige ungewaschene verheiratete Priester im Überfluß. Was konnte unattraktiver sein? Popov paßte genau ins Bild. Er hatte auch etwas Ungewaschenes, damals wie jetzt. Zum Beispiel dieser schwarze Anzug, mit dem er zu einer Zeit herumgelaufen war, als kein Mensch am Harvard College einen Anzug trug, außer zu Beerdigungen oder Hochzeiten, und selbst dann kein so scheußliches zweireihiges Teil wie Popov, mit Hemden von zweifelhaftem Weiß, einer schmalen, strickartigen, ausgefransten Krawatte und einem häßlichen roten Einstecktuch. Spielte das eine Rolle? Nein, aber es störte Schmidt. Die zwei, drei Anzugträger, die er mochte und achtete, waren goldhaarige, mit einem goldenen oder silbernen Löffel im Mund geborene Jungen. Stieß ihn Popovs sichtliche Armut ab? Nein, es waren eher das teigige, weiße Gesicht und die offenkundig mangelnde persönliche Hygiene. Na gut, er war schlampig, und sein Mitbewohner Bill, Gils Freund, war noch schlampiger gewesen. Ja, aber wer war Schmidt? Ein Wächter über die Kleiderordnung oder eine Hausmutter, die die Fingernägel ihrer kleinen Schutzbefohlenen kontrollierte? Nein, dahinter steckte mehr. Popov hatte ihn verunsichert, er führte Reden, die für Schmidt zu kompliziert waren, ließ ihn seine Überlegenheit als hochkultivierter Europäer spüren – als Europäer aus einer mächtigen Familie, eine Tatsache, die Schmidt damals nicht unbekannt gewesen war –, spielte seinen Vorteil gegenüber einem Amerikaner aus, der frühestens im Sommer nach seinem zweiten Collegejahr nach Europa reisen konnte, von Ballett und Oper keine Ahnung hatte und, was für Popov und seinen

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