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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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lächelte zurück, biß die Zähne zusammen und ging weiter, um seine Einkäufe zu erledigen.
    Als er am Flughafen Roissy ankam, hatte er noch reichlich Zeit. Viertel vor sechs, und der Abflug war um sieben. Alices Flug nach Nizza ging um fünf Uhr von Orly. Vielleicht betatschte dieser Tropf Popov die Hinterteile aller seiner Kolleginnen und Kollegen. Und was hatte das mit Schmidt zu tun! Alices Telefonnummer in Antibes hatte er nicht, und selbst wenn er sie hätte, würde er wohl nicht wagen, sie im Haus ihres Vaters anzurufen, da er ja wußte, daß die Freundin des alten Herrn krank war. Alices Pariser Nummer mußte er wählen und eine Nachricht in seinem besten Französisch hinterlassen: je t’aime follement ; das war die Lösung. Die Verbindung kam zustande. Er hörte den ersten Klingelton und dann den zweiten und dann Alices Stimme. Verblüfft legte er den Hörer auf. Hatte sie ihren Flug verpaßt? Hatte sich die Lage in Antibes verändert? Wie dumm von ihm, aufzulegen, statt mit ihr zu sprechen. Er wählte noch einmal. Die Leitung war besetzt und blieb besetzt bis zur letzten Minute, als die Passagiere der ersten Klasse zum Einsteigen aufgerufen wurden.
    Wie immer schlief er beim Start ein. Es war ein Tick, die Reaktion seines hilflosen Körpers, der, auf einen Sitz festgeschnallt und hochgehoben, in einen infantilen Zustand versetzt wurde. Das muntere Gerede der Erfrischungen anbietenden Stewardeß weckte ihn. Das Flugzeug hatte seine Reiseflughöhe erreicht, und der Lautsprecher meldete, daß die Passagiere sich nun frei in der Kabine bewegen könnten. Schmidt entschied, die Herald Tribune könne warten, obwohl er den ganzen Tag noch nicht hineingesehen hatte. Er nippte an einem Bourbon, verschlang die Nußmischung so heißhungrig, als hätte er nicht zu Mittag gegessen, unddachte über den fehlgeschlagenen Anruf nach. Alle plausiblen Erklärungen, die er fand, erschienen ihm gleich möglich oder unmöglich. Er würde am nächsten Tag versuchen, sie zu erreichen – am Samstag nachmittag ihrer Zeit –, und eine Nachricht hinterlassen, ihr erklären, daß er in seiner Überraschung wie ein Dummkopf den Hörer aufgelegt habe, statt sie zu fragen, ob etwas passiert sei, und daß er sie danach nicht mehr habe erreichen können. Sie würde zurückrufen, wenn sie diese Nachricht abgehört hatte. Noch am selben Tag, wenn sie in Paris war, oder am Sonntag, wenn sie aus Antibes zurückkam.
    Gegen seinen Willen kehrten seine Gedanken zu dem Intermezzo mit Pani Danuta zurück. Ein Riesenfehler. Wie sollte er sicherstellen, daß es ein Intermezzo blieb? Das war das eine. Sie hatten sich in schönster Harmonie getrennt. Würde sie nicht erwarten, daß sich die wodkatriefende Orgie à deux bei seinem nächsten Besuch im Warschauer Center wiederholte? Wie würde sie reagieren, wenn er sich ihr entzog? Würde ein gehässiger Bericht bei Mike Mansour eintreffen? Er vermutete, der Finanzmagnat und Bonvivant würde über die Eskapade seines wählerischen WASP-Angestellten lachen, aber Mikes Stimmungen waren nicht vorhersehbar, und selbst wenn Mike gelassen reagierte, würde Schmidts idiotisches Benehmen dadurch nicht richtig oder weniger idiotisch. Richtig wäre gewesen, diese Sexbesessene gleich nach dem Spaziergang im Łazienki-Park nach Hause zu bringen oder zu schicken. Das andere war die Frage, welche weiter gehenden Folgerungen aus dem Geschehenen zu ziehen waren, was es über ihn verriet. Hatte er je nein zu einer Frau gesagt, die sich ihm anbot? Ja, wenn die Transaktion mit einer Geldzahlung verbunden war; ansonsten konnte er kein Beispiel für eine nicht genutzte Gelegenheit anführen, vielleicht abgesehen von den koketten Offerten alter Schachteln in den Hamptons, verwelkter Witwen von Schriftstellern oder Lektoren oder Literaturagenten. Schon vor dem Gedanken an einen Körperkontakt auch mit den besterhaltenen Exemplaren war er zurückgeschreckt. Davon abgesehen, war das Muster immer das gleiche, ob er sich mit der Studentin eingelassen hatte, die er an der Westküste anwarb, mit der Babysitterin Corinne, mit seiner Hekate Carry, mit Alice – ja, Alice – oder jetzt mit Danuta. Die Fanfare ertönt, und Schmidt springt in den Sattel. Hatte er zuwenig Selbstgewißheit, um von sich aus den ersten Schritt zu wagen, und verlor er deshalb den Kopf, sobald eine Frau signalisierte, daß sie zugänglich sei? Oder lag es einfach an seiner unverminderten Lust auf Sex mit neuen Partnerinnen, einer Neugier, über die er

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