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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Schauspieler-Mitbewohner noch anstößiger war, tatsächlich glaubte, daß Truman mit dem Krieg gegen Korea das Richtige getan hatte und daß Eisenhower kein Schwachkopf war. Gil, der jüdische Wunderknabe aus Brooklyn, verfügte bereits über die unerläßlichen liberalen Ideen einschließlich der durch nichts zu erschütternden Überzeugung, daß Alger Hiss unschuldig war, er spielte Klavier, hatte einen Plattenspieler und einen Stapel Opern-LPs mit nach Cambridge gebracht und war schon zweimal in Europa gewesen. Gils Vater war Chirurg und seine Mutter Modeschöpferin, und ihr Brooklyn war nicht irgendwo in East New York, sondern ein Brownstone Haus in Brooklyn Heights. Schmidt wußte genau, warum er keinen schäbigen Neid auf Gil spürte, warum er ihm nichts übelnahm: Er hatte für Gil geschwärmt wie ein Schuljunge, der spät erwachsen wird, und daran hatte sich nicht viel geändert. Eines war sicher: Ohne diesen Zusatz aus Mißgunst und schuldbewußter Neugier wäre seine Abneigung gegen Popov nicht so scharf und gehässig ausgefallen.
    Halb zehn. Er rief Charlotte an. Es klingelte dreimal, und schon hörte er ihre Stimme, eine denkwürdige Neuheit in seiner Telefonkommunikation mit ihr.
    Dad, wo warst du?
    Wann, gestern?
    Ja, ich habe dreimal angerufen und schließlich eine Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen.
    Genau gesagt, in einem Flugzeug auf dem Rückweg von Paris. Ich war wieder kurz auf Reisen. Aber ich hatte dir vorher einen Brief mit meinen Reisedaten geschickt.
    Den hat einer von uns offenbar weggeworfen. Als wir zurückkamen, hatten wir ganze Stapel von Reklamemüll.
    Natürlich, dachte Schmidt, wer würde schon beachten, daß sein Name als Absender auf dem Briefumschlag stand?
    Tut mir leid, sagte er. Ich habe die Ansage auf meinem Anrufbeantworter nicht geändert, weil man sich womöglich Einbrecher ins Haus holt, wenn man mitteilt, daß man verreist ist. Hier in der Gegend wurde ein paarmal eingebrochen. Hattet ihr schöne Ferien?
    Hast du einen Stuhl in der Nähe? Ja? Dann setz dich hin. Dad, ich bin schwanger. Das Baby soll Ende September kommen! Und wir wissen, daß es ein Junge wird! Ich habe es bis jetzt nur Jons Eltern erzählt, sonst niemandem. Ich wollte erst sicher sein, daß der Kleine auch dableibt. Er soll Myron heißen. Juden können einem Kind nicht den Namen eines lebenden Elternteils geben, aber Renata hat einen Onkel, der auch Myron heißt, also geht das in Ordnung. Wir sind auf der sicheren Seite.
    Es wäre ihm lieber gewesen, wenn sie ihm nicht jetzt schon von der Namensgebung erzählt hätte, aber eigentlich spielte es keine Rolle, überhaupt keine. Mit Mühe brachte er heraus: Mein Schatz, mein Schatz, das ist ja ganz wunderbar, ich freue mich so. Wenn deine Mutter das noch erlebt hätte! Sie wäre außer sich gewesen. Ist Jon da? Ich würde ihm gern gratulieren.
    Das wäre das erste Telefongespräch mit seinem Schwiegersohn seit langer Zeit gewesen, das letzte war länger her, als er zurückdenken wollte, und er hörte mit Erleichterung, daß es nicht sein sollte. Jon war im Fitneßstudio und würde danach sofort ins Büro gehen. Sie werde Schmidts Glückwünsche übermitteln. Er beschloß, die Frage zu riskieren – da sie einen Waffenstillstand vereinbart hatten, war sie vielleicht nicht unangebracht, würde nicht Charlottes Zorn auf sein Haupt laden. Er fragte also, ob eine Chance bestehe, sie und Jon nach Bridgehampton zu locken – am Memorial-Day-Wochenende zum Beispiel.
    Falsch geraten.
    Dad, antwortete sie, die Silbe so gedehnt, daß sie mehr wie Daaaad klang, wir können einfach nicht, ich nehme Urlaub – unbezahlten natürlich, sie zahlen nur für einen Monat – und gehe nach Claverack.
    Claverack war der Ort, an dem sie und Jon ein Hausgekauft hatten, um den alten Rikers näher zu sein, die dort ein Anwesen hatten; das Geschenk, das er ihr angeboten hatte, seinen Nießbrauch an dem Haus in Bridgehampton, in dem sie aufgewachsen war, hatte sie abgelehnt.
    Und wenn ich schnell zu dir in die Stadt käme? fragte er.
    Also wirklich, Dad, kannst du mal die Luft anhalten und überlegen, was der Umzug mit sich bringt? Ich habe überhaupt keine Zeit.
    Er registrierte, daß sie ihn nicht nach Claverack einlud.
    Ja, fuhr sie fort, Renata meint, es wäre am besten für mich und das Baby, wenn ich die Hitze und Hetze in der Stadt hinter mir lasse, und ich denke, sie hat recht. Jon wird jedes Wochenende kommen und dann seinen Resturlaub nehmen.
    Oh, sagte Schmidt,

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