Schmidts Einsicht
nicht hinausgewachsen war? Er meinte, er könne sich bezähmen, wenn er mit Alice leben würde, sonst aber nicht. Ließ sich eine moralische Unterscheidung zwischen dieser »Neugier« und Tim Verplancks Homosexualität treffen, die bewirkte, daß Schmidts Verhalten für Alice weniger abstoßend wäre? Er wußte es nicht genau. Bewiesen seine Eskapaden mit Danuta, daß er Alice mit seinen Liebesschwüren getäuscht hatte? Ihm erschien ein solcher Schluß nicht zwingend. Er liebte Alice oder kam der Liebe zu ihr so nahe wie in seinem Alter möglich. War das wirklich wahr? Kannte er sie nicht zu kurz und zu wenig, um mehr als betört von ihr zu sein? Den Einwand konnte er entkräften. Die Erfahrungen eines ganzen Lebens sagten ihm, daß sie fantastisch war. Wenn er sie sechs Monate länger gekannt hätte, wäre dieses Urteil nicht anders ausgefallen.
Auch ein praktisches Problem ließ Zweifel an seiner Vertrauenswürdigkeit aufkommen. Sie war so viel jünger als er! Er hatte sie in verschiedenen Formulierungen darum gebeten, ihr Leben mit dem seinen zu verbinden. Wie konnte er die mit seinem Alter verbundenen Nachteileund Risiken ignorieren: das unvermeidliche Nachlassen seiner Potenz, die Krankheiten, die ihn womöglich treffen und behindern würden, die an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit, daß er als erster sterben würde? Sie würde zum zweiten Mal Witwe werden, und das in einem Alter, da es schwieriger als jetzt sein würde, einen Mann zu finden, mit dem sie ihr Leben teilen wollte. Dagegen waren andere Gesichtspunkte anzuführen, die diese Nachteile aufwogen: etwa sein Interesse an Frauen, das ihm lebendiger vorkam als das vieler Männer in Alices Alter, seine ausgezeichnete Gesundheit, die solche Krankheiten und Schwächen hinausschieben oder abwehren konnte, sein mäßiges, aber durchaus hinreichendes Vermögen, das, solange er noch da war, ihnen beiden ein komfortables Leben sichern müßte, und anschließend ihr. Sein Lebensstil würde ihr sicher gefallen. Das Ostende von Long Island und Manhattan: keine schlechte Kombination. Auf der anderen Seite der Bilanz stand das Opfer, das sie bringen müßte, wenn sie aus Paris wegzog, obwohl er selbstverständlich gern bereit war, dort soviel Zeit zuzubringen, wie sie wünschte. Er hatte versucht, diese Sorgen gründlich und sachlich mit ihr zu erörtern. Aber immer, wenn er über ihrer beider Zukunft redete, wurde sie ungeduldig. Sie seufzte und sagte zum Beispiel: Schmidtie, warum müssen wir uns darüber unterhalten? Wir haben es sehr gut zusammen, reicht das nicht? Das einzige Mal, als sie bereit schien, ihm zuzuhören, erklärte sie ihm, alle diese Bedenken seien real, aber keines davon würde ihr im Weg sein. Aber dabei blieb sie stehen: beim Konditional. Sie würden ihr nicht im Weg sein, falls sie sich entscheiden sollte, seinen Antrag anzunehmen. Aber offensichtlich war sie dazu noch nicht bereit.
Er wünschte sich, Gil stünde ihm zur Seite und könnte ihm helfen, dieses Knäuel zu entwirren.
X
Als er an diesem Freitag abend spät zu Hause in Bridgehampton ankam, war keine Nachricht von Alice da. Er fand allerdings eine am Nachmittag aufgenommene Nachricht von Charlotte, und auf dem Küchentisch, neben einer Vase voller weißer und rosa Pfingstrosen aus seinem Garten, lag eine Notiz von Carrie mit den Worten, Willkommen Schmidtie, wir haben eine Neuigkeit für dich. Es war ein paar Minuten nach Mitternacht, viel zu spät, um Charlotte zurückzurufen. Im Poolhaus und in Bryans Appartement über der Garage war kein Licht. Wenn Bryan am Flughafen gewesen wäre, hätte er ihm Carries Neuigkeit erzählt, es sei denn, es sollte eine Überraschung sein, und sie hätte ihm befohlen zu schweigen. Aber er war nicht von Bryan, sondern von einem der Chauffeure Mike Mansours mit dem gewaltigen grauen SUV des Sicherheitsdienstes abgeholt worden. Die Neuigkeit und der Anruf bei Charlotte würden bis zum Morgen warten müssen. Sy saß auf dem Küchentisch, himmelte ihn an und klopfte ihm auf den Ärmel. Das war eine Botschaft, die Schmidt nie mißverstand. Sie bedeutete: Ich will was zu fressen, jetzt gleich!
Er stand früh auf und war sicher, daß Carrie und Jason trotz Samstag auch schon auf waren. Die Arbeit in der Marina fing um acht Uhr an. Er frühstückte, legte dann die New York Times beiseite und wollte gerade zu ihnen hinübergehen, da kamen die beiden. Er hatte Carrie seit drei Wochen nicht mehr gesehen. Der Hügel unter ihrem Paisley-Top war zu einem
Weitere Kostenlose Bücher