Schmidts Einsicht
Gelegenheiten. Im Kopf spürte er eine leichte Leere; die Wirkung des zweiten Gin-Tonic, den er noch nicht ausgetrunken hatte, oder des Scheckschreibens? Nein, sie kam von der exquisiten Klarheit der Situation. Zuerst versucht Jon den großen Fischzug: Hör zu, Albert, es ist Zeit, die Zukunft des kleinen Myron finanziell abzusichern. Das geht schief, also beschließt die Meistertaktikerin Renata, kleiner anzufangen: bloß sechstausend pro Monat! Das ist nur der erste Schritt. Aber er würde doppelt soviel geben, und zwar gern, wenn Charlotte ihm nur ihre und Jons mysteriöse Finanzlage erklären, wenn sie freundlich bittenwürde, wenn die Rikers die Finger von seinen Geschäften mit seiner Tochter ließen. Er reichte ihr den Scheck. Während sie ihn prüfte, tastete er in seiner Jackentasche nach dem Geschenk, das er für sie hatte: einen französischen Anhänger aus der Jahrhundertwende, in der Form eines Schmetterlings, der an einer Kette hing. Sollte er es ihr jetzt gleich geben? Er entschied sich, zu warten. Man wußte nicht, wie der Besuch enden würde.
Nach einem Schweigen, das ihm lang vorkam, sagte sie: Danke. Ich gebe Renata Bescheid, damit sie mit dieser Frau telefoniert. Stört es dich, wenn ich sie anrufe?
Er schüttelte den Kopf.
Charlotte hatte offenbar eine besondere Nummer für ihren persönlichen Gebrauch, die das Telefon in Renatas Behandlungszimmer klingeln ließ. Halb eins, das hieß, sie müßte mitten in einer Fünfzig-Minuten-Stunde mit einem Patienten sein. Trotzdem hob sie sofort den Hörer ab. Schmidt hörte sie sagen: Hallo, Schätzchen. Wie läuft’s? O.K., antwortete seine Tochter, er hat mir den Scheck gegeben. Du kannst Jolanda anrufen, wenn du Zeit hast. Ja. Bussi.
Bussi, auch das noch, dachte Schmidt bei sich. Wohin Charlottes Intelligenz verschwunden war, hatte er sich bereits gefragt. Und das gute Benehmen, das Mary, Tante Martha und – kaum zu glauben, aber wahr – auch er ihr so sorgsam anerzogen hatten! Wo war es geblieben? Man konnte kaum behaupten, daß sie statt dessen gewitzt wie eine Gassengöre sei, denn die würde geschickter vorgehen als diese Aussteigerin aus der Oberschicht.
Willst du essen? fragte sie.
Ja, erwiderte er, aber vielleicht wäre es einfacher, wenn ich mit dir essen gehe. In ein Restaurant in Claverack oder Hudson?
Ich habe was vorbereitet.
Sie packte Teller, Gläser, Messer und Gabeln auf den Tisch und überließ es ihm, sie zu ordnen, brachte eine halbe Flasche kalifornischen Rotwein aus der Speisekammer und holte eine Schüssel Salat, salade niçoise , aus dem Kühlschrank. Auf der Anrichte lag Brot, das stellte sie auch auf den Tisch.
Charlotte, sagte Schmidt, hörbar gerührt, das war das liebste Sommeressen deiner Mutter, und du hast es nach ihrem Rezept zubereitet. Danke!
Gern geschehen. Du hast wohl gedacht, ich würde eine Pizza bestellen. Natürlich kann ich lange nicht so gut kochen wie deine Freundin Carrie.
Ah, diese Mahlzeit, die Carrie so großmütig vorbereitet hat, als die beiden sich zum ersten und einzigen Mal begegnet sind, die ist ihr im Hals stecken geblieben, dachte Schmidt. Was für ein Jammer.
Das weiß ich nicht, du hast nicht oft für mich gekocht. Aber ich merke, daß du nicht auf dem neuesten Stand der Entwicklungen bist. Carrie hat einen netten Mann geheiratet, der in East Hampton eine Marina betreibt, und sie erwartet nächsten Monat ein Baby.
Das hat dich sicher zur Weißglut gebracht!
Eigentlich nicht. Wie gesagt, ein netter Kerl, er ist im richtigen Alter für sie, und ich glaube, sie verstehen sich gut.
Das ist eine ganz neue Großmut, Dad. Wow! Für Jons und meine Ehe hast du diese Toleranz und Großzügigkeit nicht aufgebracht, jedenfalls hab ich nichts davon gemerkt.
Ach du meine Güte, antwortete Schmidt.
Was sollte er machen? Aufzählen, wie Jon sie betrogen hatte, wie unmoralisch oder jedenfalls rücksichtslos sein Verhalten gewesen war, so daß W & K ihn hinausgeworfen hatten, ganz zu schweigen von seiner nichtswürdigen Weigerung, ihr nach der Trennung das Haus zurückzugeben, das ihr rechtmäßiges Eigentum war? Sie daran erinnern, daß Jon, der mit Schmidts Hilfe Partner bei W & K geworden war, jede Gelegenheit nutzte, ihn, den Alten, zu reizen? Davon reden, daß sie sich in einer grotesken Neufassung der Bibelgeschichte von Ruth ausdrücklich von ihm abgekehrt hatte, um ihrer Schwiegermutter zu folgen? Oder von ihrem und Jons wirklich bemerkenswerten Mangel an Dankbarkeit, wenn es um die
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