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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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paar Jahre früher.
    Erschöpft von Erinnerungen an alte Freundschaften und Tode, unerträglich angespannt beim Gedanken, daß er in zwei Stunden die so geliebte und ihm so entfremdete Tochter sehen würde, fand er den Weg über die neuen und umbenannten Straßen, die ihn endlich zum Taconic Parkway brachten, und trat aufs Gaspedal. Der Volvo war um vieles stärker als der VW-Käfer, den er damals gehabt hatte. Dieser Wagen schoß wie wildgeworden vorwärts. Gewissenhaft drosselte er das Tempo auf gut fünfundsechzig Meilen, hielt es für unwahrscheinlich, daß die an den dichtbewachsenen Seiten- oder Mittelstreifen lauernden Polizisten sich darüber ärgern würden, schaltete das Radio ein und stellte überrascht fest, daß er sich immer noch im Sendebereich von WQXR befand. Auch das war eine Verbesserung gegenüber den alten Zeiten.
    Das Haus, ein zweistöckiger weißer Schindelbau mit schwarzen Fensterläden, stand auf einem Feld, in dessen abgeteiltem, eingezäuntem Bereich Aberdeen-Rinder grasten; wie er später erfuhr, gehörten sie dem in der Nachbarschaft wohnenden Farmer, der die Immobilie an Charlotte und Jon verkauft hatte.
    Charlotte wartete an der Haustür auf ihn. Seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte, waren weniger als zwei Monate vergangen. Die schicke, schlanke junge Frau hatte sich verändert. Da stand sie in einem blauweiß gestreiften Gingham-Kleid, dessen Schnittführung den vorgewölbten Bauch nicht verhüllte. Sie lächelte tatsächlich. Er küßte sie auf beide Wangen und dann gleich noch einmal.
    Ich bin so froh, sagte er.
    Als sie sich nach der Hausbesichtigung in die Küche setzten, fragte sie ihn, was er davon halte.
    Es ist schön, antwortete er, sehr gut und geschmackvollrenoviert, genau wie ich es von dir erwartet hätte, und ich glaube, das Kinderzimmer ist gerade richtig. Es wird ihm gefallen.
    Eigentlich ist das zu neunzig Prozent Renatas Verdienst. Sie hat ein sehr gutes Auge und weiß, wie man mit Handwerkern umgeht.
    Das wundert mich nicht, antwortete Schmidt. Ich erinnere mich, daß ihre Wohnung in der 57 th Street sehr schön ist.
    Du bist nur einmal da gewesen.
    Er wußte nicht sicher, ob dies als Stichelei oder als Ausdruck des Bedauerns aufzufassen war. Am besten forschte er nicht nach. Statt dessen fragte er, ob er einen Drink haben könne: einen Bourbon oder einen Gin-Tonic. Bourbon hatte sie nicht, aber der Gin und eine Flasche Schweppes wurden bereitgestellt. Da sie ihn aufgefordert hatte, sich selbst zu bedienen, nahm er viel Gin. Bis er wieder zurückfuhr, würde dieser Drink und alles, was sie ihm beim Mittagessen zu trinken geben würde, längst abgebaut sein, und wenn nicht, konnte er auf dem Taconic Parkway an den Straßenrand fahren und ein Weilchen schlafen.
    Ich würde dich gern um etwas bitten, sagte sie, und ich hoffe, du gehst nicht gleich in die Luft, wenn du es hörst.
    Sprich nur, ich versuche, mich zu beherrschen.
    Ich möchte eine Frau einstellen, die zugleich als Kindermädchen und Haushälterin arbeiten kann. Sie müßte flexibel und erfahren sein, sollte mir jetzt schon zur Hand gehen, und wenn das Baby da ist, gut mit ihm zurechtkommen. Ich habe eine Frau mit guten Referenzen an der Hand, die, glaube ich, die Richtige wäre. Ich frage mich, ob du ihren Lohn und die Versicherung und das andere Zeug bezahlen würdest.
    Ich denke, das wird sich wahrscheinlich einrichten lassen.
    Dann fragte er noch, weil er wirklich nicht anders konnte: Hast du sie mit Renatas Hilfe gefunden?
    Wenn du es unbedingt wissen willst: ja. Sie hat die Vermittlung in New York angerufen, die sie immer beauftragt. Also ist es nichts mit deiner Zusage, vermute ich. Wenn etwas mit Renata oder Jon zu tun hat, ist es wohl sofort verboten.
    Nicht zwangsläufig, antwortete er, es hängt davon ab, was sie im Schilde führen. Wieviel verlangt diese Mary Poppins?
    Wenn sie bei uns wohnt, hier und in der Stadt, sechstausend. Sie bekommt einen Monat Urlaub, also brauche ich noch jemanden, der sie dann vertritt.
    Das läßt sich wohl machen, sagte Schmidt, für beide, sie und ihre Stellvertreterin. Natürlich vorausgesetzt, daß Renata auch die Vertretung aussucht. Wann kann Poppins anfangen?
    Nächsten Dienstag, gleich nach dem Memorial Day, wenn ich ihr heute Bescheid sage.
    Tu das, sag ihr, sie hat den Job. Ich gebe dir jetzt gleich einen Scheck für den ersten Monatslohn.
    Er zog seine Brieftasche aus der Jacke. Zwei Blankoschecks waren immer darin, offenbar genau für solche

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