Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
den beiden einen Platz vor ihrem Schreibtisch an.
»Wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie sich mit Herrn
Bauer nicht sehr gut verstanden«, fuhr Lenz fort, nachdem er sich gesetzt
hatte.
Sie winkte ab. »Ach, das ist doch alles schon so lange her,
dass es eigentlich gar nicht mehr wahr ist.«
»Aber Sie können sich an ihn erinnern?«
»Selbstverständlich, ja. Außerdem ist er immer mal wieder
hier aufgetaucht, um uns mit seinen gut gemeinten Ratschlägen zu versorgen.«
»Interessant«, mischte Hain sich ein. »Wann zuletzt?«
»Das weiß ich nicht mehr genau. Letztes Jahr im Sommer
irgendwann. Oder im Frühsommer.«
»Aber Sie haben sich darüber nicht gefreut, entnehme ich
Ihren Worten?«
»Der Mann war seit knapp zehn Jahren draußen. Die
Methoden und Umgangsformen hatten sich schon zu seiner aktiven Zeit mächtig
verändert, ohne dass er davon etwas mitbekommen hätte, aber diese Spanne ist in
der Pädagogik eine Ewigkeit. Wir brauchten ihn nicht, und ehrlicherweise muss
ich zugeben, dass wir ihn hier lieber von hinten als von vorne gesehen haben.
Er und seine Gedanken stammen einfach aus einer anderen Epoche.«
»Wie würden Sie denn die Zeit beschreiben, aus der
Herr Bauer stammte?«, forschte der Oberkommissar weiter.
Sie rutschte ein wenig auf ihrem Stuhl hin und
her. »Autoritär, unreflektiert und in keinster Weise den Bedürfnissen der
Heimbewohner angepasst.«
»Eine Kollegin von Ihnen hat es so definiert, dass es
ausreichend war, wenn die Zöglinge die Einrichtung als ›anständige Menschen‹
verlassen haben.«
Vera von Bissingen sah den Polizisten angewidert an. »Aha«,
machte sie dann. »Als ›anständige Menschen‹. Das kann nur jemand gesagt haben,
der mit Herrn Bauer auf einer Wellenlänge gesurft ist, und da fällt mir nur
eine Kollegin ein. Zum Glück hat diese Dame nichts mehr mit den Bewohnern
direkt zu tun.«
»Nehmen Sie es ihr nicht übel. Wir leben eben alle in unseren
Konventionen und Erfahrungen«, brach Lenz eine Lanze für Erika Schäfer.
»Aber nicht, wenn davon der Werdegang von jungen Menschen
betroffen ist, die etwas Besseres verdient hätten als Verwahrung und
Unterdrückung.«
»Und das war damals so?«, hakte der Hauptkommissar nach.
»Durchaus, ja.«
Das Telefon auf ihrem Schreibtisch gab eine leise Melodie von
sich. Sie griff nach dem Hörer und meldete sich.
»Ja, ich komme«, ließ sie den Anrufer wissen und sah dabei
auf die Uhr. »Bin in einer Minute drüben.« Damit legte sie den Telefonhörer
zurück und sah die Kripobeamten entschuldigend an. »Tut mir leid, aber ich habe
jetzt einen Termin. Wenn Sie noch Fragen haben, melden Sie sich einfach bei
mir.« Sie griff in ihre Handtasche und legte den Polizisten eine Visitenkarte
auf den Tisch. Hain griff danach und steckte den kleinen Karton in die
Innentasche seines Sakkos.
»Trotzdem vielen Dank, Frau von Bissingen«, erklärte Lenz der
Frau zum Abschied.
8
»Beliebt klingt ja anders«, teilte Hain seine
Gedanken mit Lenz, während er das Dach des Mazdas öffnete und den Motor
startete.
»Und irgendwie …«, wollte der Hauptkommissar den Satz seines
Kollegen weiterführen, wurde jedoch vom Klingeln des Mobiltelefons in seiner
Jacke unterbrochen. Hain sah zu ihm hinüber und drehte den Autoschlüssel zurück
in die Nullstellung, sodass der Motor wieder abstarb.
»Lenz.«
»Ja, hallo, Herr Lenz. Peters hier, Werner Peters. Störe ich
Sie gerade?«
Du störst immer, dachte der Polizist und verzog das Gesicht
bei dem Gedanken an den Journalisten der Lokalzeitung.
»Nicht direkt«, murmelte er. »Was kann ich denn für Sie tun,
Herr Peters?«
»Ja«, erwiderte der Reporter nach einer kurzen Pause, »die
Sache ist ziemlich pikant, und ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie so einfach
dazu befragen kann.«
Wenn du es nicht weißt, dachte Lenz. »Worum geht es denn,
Herr Peters?«
»Mir wurden«, antwortete der Schreiberling nach einer
weiteren kurzen Pause, »vertrauliche Informationen zugespielt, die sich um Ihre
und die Person der Frau des Oberbürgermeisters drehen.«
Wieder eine Pause, diesmal etwas länger.
»Und?«, fragte Lenz schnippisch.
»Na ja, mein Informant behauptet, dass Sie und die Frau des
OB …«
»Ja, Herr Peters?«
»Nun lassen Sie mich doch nicht so zappeln, Herr Lenz. Stimmt
es, dass Sie und Frau Zeislinger ein … dass Sie … ich meine …«
Lenz warf Hain einen belustigten Blick zu. »So wird das nichts,
Herr
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