Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
postiert waren, und überquerte die Hafenstraße. Er war froh, dass es
Freitagnachmittag war und das Wochenende vor der Tür stand.
»He, wo willst du hin?«,
rief sein Kollege hinter ihm her.
Der Hauptkommissar drehte
sich um und warf einen Blick auf das Haus, in dem sowohl Petra Soffron als auch
Martin Melchers gewohnt hatten. Beide waren tot.
»Warum musste dieses arme
Schwein dran glauben, Thilo?«, fragte er den jungen Oberkommissar, der ihm über
die Straße gefolgt war und nun gleichfalls auf das Haus starrte.
»Hat er etwas gewusst,
das uns einen Hinweis auf den oder die Täter hätte geben können? Oder einfach
so, weil er sowieso immer der Fußabtreter für alle gewesen ist?«
Hain legte die Stirn in
Falten, zog sein Jackett aus und hängte es über die Schulter. »Keine Ahnung.
Noch nicht jedenfalls. Aber ich glaube, dass hier in diesem Haus der Schlüssel
zu dem ganzen Schlamassel liegt.«
»Und?«, wollte Lenz
wissen, nachdem sein Kollege nicht weitergesprochen hatte. »Hast du ihn
gefunden?«
»Nein, sag ich doch. Aber
wenn wir mit Melchers hätten sprechen können, hätte uns das vermutlich ein
gutes Stück weitergeholfen.«
Lenz hob den Kopf,
wischte sich ein wenig Schweiß von der Stirn und betrachtete den makellosen
Sommerhimmel. »Der tote Erzieher Dieter Bauer hatte was mit einem Mädchen aus
dem Karlshof; sagt zumindest das Tagebuch von Bertram Aurich.«
»Nachdem er seine
Kollegin Ruth Liebusch gevögelt hatte«, brachte Thilo Hain die Chronologie ein
wenig ins Lot.«
»Ich weiß nicht, ob das
für die Ermittlungen von großer Bedeutung ist, Thilo, aber wir behalten es im
Hinterkopf.«
»Vergiss nicht, dass Ruth
Liebusch jeden Monat eine beträchtliche Summe Geld an Petra Soffron überwiesen
hat. Zwischen den beiden gibt es also irgendwas, von dem wir aber noch so was
von keine Ahnung haben, dass wir uns schämen sollten.«
Lenz kletterte auf ein
Mäuerchen, setzte sich, und ließ die Beine baumeln. »Hast du eine Idee dazu?«
»Leider nicht.«
Der Hauptkommissar dachte
daran, dass er in früheren Jahren in Momenten wie diesem immer eine Zigarette
im Mund gehabt hatte. Jetzt war ihm eher nach einem Glas Wasser.
»Auf
jeden Fall starb Petra Soffron vor ein paar Monaten, und das löste scheinbar
eine Kettenreaktion aus. Weiterhin war sie nach Angaben von Werner Schlieper
immer, das heißt wohl mehrmals, schwanger, hat aber offensichtlich keine
Angehörigen gehabt. Wie geht das zusammen?«
»Vielleicht hat sie ja
abgetrieben? Das ist doch in den 70ern gerade richtig in Mode gekommen, wenn
ich es recht in Erinnerung habe.«
Der Hauptkommissar dachte
über die These seines jungen Mitarbeiters nach, und noch während er sinnierte,
sprang er von der Mauer und lief mit schnellen Schritten auf den Mazda zu.
»Komm«, rief er in Richtung seines verdutzten Kollegen.
»Was …?«
»Hör auf zu lamentieren
und komm«, brüllte Lenz.
*
»Du
könntest mir wenigstens erzählen, warum wir so einen Alarmstart hinlegen mussten«,
nörgelte Hain, während er sich durch den sommerlichen Feierabendverkehr mühte.
Lenz saß mit geschlossenen Augen neben ihm und dachte offensichtlich nicht
daran, etwas zu antworten.
»He, ich rede mit dir!«
»Nicht so laut, Thilo,
ich bin nicht taub«, entgegnete sein Chef ruhig. »Lass mich noch ein paar
Sekunden nachdenken, vielleicht bin ich dann selbst nicht mehr so überzeugt von
meinen Gedanken von eben.«
Aus den Sekunden wurden
mehrere Minuten.
»Dann eben nicht«,
murmelte Hain angepisst, als er das Cabrio neben den Streifenwagen bugsierte,
der fast an der gleichen Stelle parkte wie am Tag zuvor. Im Fahrstuhl nach
oben, in den 13. Stock, tippelte Lenz von einem Bein aufs andere, an diesem Tag
jedoch nicht aus Nervosität.
Erika
Schäfer empfing die Polizisten mit einem verschlafenen Gesicht und mieser
Laune. »Was wollen Sie denn schon wieder?«, brummelte sie.
Gute Frage, das wüsste
ich auch gern, lag es Hain auf der Zunge, doch er konnte sich beherrschen.
»Wir haben noch ein paar
Fragen an Sie, Frau Schäfer«, antwortete Lenz und schob sich an der Frau vorbei
in die Wohnung.
»Muss
das sein?«, erwiderte sie gereizt. »Ich habe irrsinnige Kopfschmerzen und fühle
mich gerade nicht gut.«
»Und ob das sein muss.
Und ich will nicht wieder die gleiche Soße hören, die Sie uns gestern
aufgetischt haben. Heute brauchen wir Fakten, Frau Schäfer«, beschied der
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