Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
beiden allein an. Die genervten und gestressten Lehrer damals sprachen, wenn es
um die Brüder Fuchs ging, nur von den Siamesischen Zwillingen aus
Wallerfangen.
Die Mehrzahl der
Schultage verbrachten die beiden irgendwo im Umfeld der Dillinger Hütte, einem
großen Stahlwerk, in dem ein paar Tausend Menschen arbeiteten. Dort war es für
sie leicht, sich durch kleine Diebstähle mit Geld und Naturalien zu versorgen.
1973, die beiden waren zu
muskulösen und brutalen, zutiefst unberechenbaren Jugendlichen herangewachsen,
kamen sie zum wiederholten Mal mit dem Gesetz in Konflikt, diesmal jedoch
ausgesprochen ernsthaft. In den Jahren zuvor durch die noch nicht erreichte
Strafmündigkeit geschützt, verprügelten sie kurz nach ihrem 14. Geburtstag
einen Arbeiter, der sie dabei erwischt hatte, wie sie sein Moped stehlen
wollten. Sie schlugen ihm mit einem Ochsenziemer den Schädel ein und traten so
sehr auf den auf dem Boden Liegenden ein, dass er dabei ein Auge und einen
Hoden verlor. Zwei Jahre Jugendhaft mit Bewährung lautete das Urteil, dazu
wurden sie in Kooperation mit dem Jugendamt des Landkreises Saarlouis in das
Jugendheim Karlshof in Wabern eingewiesen.
Wabern.
Ein kleiner Ort im
Nirgendwo zwischen Kassel und Marburg. Weit weg von zu Hause und weit weg von
den kriminellen Möglichkeiten, die sie sich im Laufe der Jahre aufgebaut
hatten. Doch schon ein halbes Jahr nach ihrer Ankunft in Nordhessen waren sie
durch brutale Gewalt und geschicktes Taktieren die uneingeschränkten Herrscher
im Karlshof geworden. Natürlich lebten dort ältere Jugendliche, die körperlich
noch robuster als die Füchse waren, aber an Willen und Durchsetzungskraft
konnte es keiner mit ihnen aufnehmen. Außerdem gab es die beiden grundsätzlich
nur im Doppelpack. Sie lebten in einem Zimmer, aßen nebeneinander am selben
Tisch, und selbst den seltenen Weg zur Dusche traten sie ausschließlich
gemeinsam an.
Einem
Erzieher, der sich ihnen einmal in den Weg gestellt hatte, als sie gemeinsam
über einen neu im Heim angekommenen Jugendlichen herfielen, lauerten sie nachts
vor seinem Haus auf und richteten ihn dermaßen übel zu, dass er nie wieder
arbeiten konnte. Damit war klargestellt, dass man sich mit den Füchsen besser
nicht anlegen sollte, was ihnen eine grenzenlose Narrenfreiheit in jeder Hinsicht
bescherte.
Natürlich gab es jede
Menge Strafanzeigen und Ermittlungsverfahren gegen die beiden, doch zu einer
weiteren Verurteilung kam es nie. Meist nutzten sie clever den Umstand aus,
dass niemand sie auseinanderhalten konnte. In einem Verfahren, in dem es um
versuchten Totschlag ging, schob jeweils der eine grinsend die Tat auf den
anderen. So konnte der entnervte Staatsanwalt zwar beweisen, dass einer der
beiden die Tat begangen hatte, wer aber letztlich zugeschlagen hatte, konnte er
nicht nachweisen, woraufhin beide freigesprochen wurden.
An
einem schönen Sommermorgen 1977 knallten im Karlshof die Sektkorken, nachdem
man den Füchsen noch am Morgen ihres 18. Geburtstages unter Polizeischutz die
Koffer vor die Tür gestellt hatte.
Eine Stunde später kamen
sie in Kassel an und wollten eigentlich in den nächsten Zug nach Saarbrücken
oder Saarlouis steigen, doch das Geld, das man ihnen im Karlshof ausgehändigt
hatte, reichte nicht für zwei Fahrkarten. So wurden aus ein paar Tagen in
Kassel Jahre, und aus den Jahren wurden Jahrzehnte.
Zunächst
hatten sie sich auf dem Bau versucht. Kräftig waren sie, und ausdauernd
ebenfalls. Nur unterordnen konnten sie sich nicht. Und so flogen sie in kurzer
Zeit aus drei Bauunternehmen, nachdem sie sich immer wieder mit ihren
Vorgesetzten angelegt hatten.
Dann
kam der Tag, an dem sie in einer übel beleumundeten Kneipe im Zentrum Kassels
Franz Malicki kennenlernten. Sie tranken mit dem älteren, aber doch sehr fit
wirkenden Mann, und eigentlich hatten sie nichts weiter vor, als ihn nach der
durchzechten Nacht auszurauben, doch es kam ganz anders. Irgendwann gegen vier
Uhr morgens, sie standen an der Theke der schummrigen Kneipe im Gebäude der
Stadtsparkasse, betraten drei Kerle den Raum, gingen direkt auf Franz Malicki
zu und forderten einen größeren Geldbetrag von ihm. Der großgewachsene,
durchtrainierte Mann lachte schallend auf und sah dem Anführer der Männer
provozierend ins Gesicht. Dann ging alles rasend schnell. Der hintere der drei
zog ein Messer und stach ohne Vorwarnung zu. Malicki konnte durch eine
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