Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
Ihnen hier die beiden damals jungen Ehepaare notiert, bei denen die Kinder von
Frau Soffron untergekommen sind. Die Adoptiveltern, um es genau zu sagen.« Er
klappte die Adoptionsakten zu und warf sie auf den Tisch, wo sie mit einem
lauten Knall landeten. »Und ich sage Ihnen gleich dazu, dass zumindest zwei der
drei Kinder wissen, wer ihre leibliche Mutter ist, denn auch das geht aus den
Unterlagen hervor. Das erste Kind, ein Junge, hat …«, er deutete wieder auf den
Aktenstapel, »vor etwa zwei Jahren die Adoptionsakten eingesehen, die hier vor
uns auf dem Tisch liegen. Das zweite, ein Mädchen, das zusammen mit einem
weiteren Jungen als Zwillingspaar auf die Welt gekommen ist, hat die Einsicht
in ihre Unterlagen Ende 2008 beantragt, anstandslos bewilligt bekommen,
und gleich darauf einen Termin gemacht.«
Hain reckte den Hals, um
etwas von dem zu erkennen, was Vockeroth auf dem Notizzettel vermerkt hatte,
doch der Amtsleiter griff danach und drehte ihn um.
»Ich muss Sie noch einmal
darauf hinweisen, dass wir uns bei dieser Sache weitab der Legalität bewegen,
und ich mache das nur, weil es vielleicht dabei hilft, drei Morde aufzuklären.
Sind wir uns darüber einig, dass Sie beide diese, ich kann es ja sagen,
zutiefst illegale Aktion streng vertraulich behandeln werden?«
Die beiden Polizisten
nickten eifrig.
»Dann«, erklärte er mit
einem gewissen Pathos in der Stimme und schob dabei den Zettel über den Tisch,
»wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei Ihren weiteren Ermittlungen, meine Herren.«
Hain griff nach dem Blatt
und hob es hoch. »Und was wird aus dem angedrohten Skatabend?«, wollte er
wissen.
Vockeroth erhob sich aus
seinem Bürostuhl und atmete tief durch. »Ich bin sicher, dass Sie es kaum
aushalten können, endlich mal wieder einen gepflegten Skat zu dreschen, junger
Mann, aber es erscheint mir nicht angemessen, Ihnen das zuzumuten. Außerdem
muss ich Ihnen sagen, dass ich seit mehr als 40 Jahren sehr engagiert Skat
spiele und mit dem, was Sie mir entgegenzusetzen hätten, vermutlich
hoffnungslos unterfordert wäre, um es höflich auszudrücken. Also verabschieden
wir uns jetzt voneinander und gehen unserer Wege. Und wenn ich Ihnen wieder mal
eine Hilfe sein kann, lassen Sie es mich ruhig wissen.«
Er lächelte. »Wobei, in
ziemlich genau eineinhalb Jahren gehe ich in den wohlverdienten Ruhestand, dann
müssen Sie sich mit meinem Nachfolger arrangieren.«
24
Horst
Fuchs drängte sich noch enger an die Wand, zog eine weitere Zigarette aus der
fast leeren Packung und zündete sie an. Verdammter Bulle, dachte er. Verdammter
Bulle.
Eine gute Stunde zuvor
hatte er von Brenner die Adresse und die Telefonnummer von diesem Polizisten
bekommen, der seinen Bruder die Treppe hinuntergestoßen hatte. Die des älteren,
der Junge war nicht interessant für ihn.
Horst und Wolfgang Fuchs.
Diese Namen hatten einmal einen Klang wie Donnerhall gehabt in Kassel. Jeder,
wirklich jeder, hatte sich vor ihnen gefürchtet. Wenn sie in den 80er-Jahren
eine Kneipe oder eine Disco betraten, hatte sich automatisch die Menge der
Anwesenden geteilt und ihnen eine Gasse bereitet. Jeder kannte sie oder hatte
zumindest schon eine der wilden Geschichten über sie gehört, die Respekt
abnötigte.
1959 waren sie in
Wallerfangen, einem kleinen Ort im Saarland in unmittelbarer Nähe zur
französischen Grenze, geboren worden. Die Eltern der beiden, Mutter Elisabeth
und Vater Siegfried, lebten in bescheidenen Verhältnissen und waren eher
einfach gestrickt. Er verdiente sein Geld als Helfer auf dem Bau, sie putzte in
einer Schule. Bis die Jungs geboren wurden, war ihr Leben eintönig und geplant
verlaufen, nach der Geburt war von einem Tag auf den anderen alles anders. Die
junge Frau verfiel noch im Wochenbett in schwere Depressionen, deretwegen sie
sich ein paar Jahre später das Leben nahm, der Vater war vom ersten Tag an mit
den Kindern überfordert. Die Jahre bis zur Grundschule lebten die Zwillinge in
der Hauptsache bei den Großeltern mütterlicherseits. Schon hier zeigte sich,
dass sie zwar überdurchschnittlich gerissen und durchsetzungsfähig waren, ihre
Intelligenz jedoch nur von unterdurchschnittlicher Qualität war. Nach der
ersten Klasse kamen die beiden auf eine Sonderschule im nahen Saarlouis, wo sie
hauptsächlich durch Disziplinlosigkeit und Brutalität ihren Mitschülern
gegenüber auffielen. Und immer agierten sie im Duo, nie traf man einen der
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