Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
geschickte Bewegung ausweichen, jedoch nicht komplett, und deshalb drang die
rasiermesserscharfe Klinge ihm in den rechten Oberarm. Er schrie auf und ließ
sich zur Seite fallen. Horst und Wolfgang Fuchs erkannten die Brisanz der
Situation sofort. Sie hatten mit Malicki getrunken, also gehörten sie zu ihm,
zumindest für die Angreifer. Keine Minute später war die Sache erledigt. Die
drei Männer lagen jammernd und stöhnend auf dem Boden, während Horst Fuchs sich
um den blutenden Malicki kümmerte. Den Rest der Nacht verbrachten die drei in
Malickis Villa im Nobelstadtteil Wilhelmshöhe, und vom nächsten Tag an
arbeiteten Horst und Wolfgang Fuchs für den einschlägig bekannten
Bordellbetreiber.
Zum ersten Mal in ihrem
Leben verdienten sie mehr Geld, als sie ausgeben konnten. Sie durften für ihren
Boss neue Prostituierte ›zureiten‹ und waren innerhalb kürzester Zeit in der
Stadt ebenso berüchtigt und gefürchtet wie seinerzeit im Karlshof. Natürlich
waren die Männer, mit denen sie es jetzt zu tun hatten, von anderem Kaliber als
die Jungs in Wabern, aber auch hier schafften es die Füchse, sich mit brutaler
Gewalt Respekt zu verschaffen.
Zwischenzeitlich hatte
jeder der beiden ein paar Monate im Gefängnis verbracht, was jedoch an ihrer
grundsätzlichen Haltung zur Kriminalität und der Justiz nichts änderte.
Dann kamen die 90er-Jahre
und die damit verbundenen Veränderungen. Systeme brachen zusammen, Grenzen
verschwanden, und wer sich den neuen Bedingungen nicht anpasste, fiel durch den
Rost. So wie die Fuchs-Brüder.
Franz Malicki lebte
längst mit seiner 30 Jahre jüngeren Frau auf Lanzarote und dachte nicht im
Traum daran, sich um die beiden Männer zu kümmern, denen er nach eigenen
Angaben sein Leben verdankte. Dankbarkeit hatte in diesen Kreisen eine
erschreckend kurze Halbwertszeit, und wenn es um Geld ging, war sie noch einmal
bedeutend kürzer.
Zunächst hatten sich die
Brüder noch mit gelegentlicher Kriminalität über Wasser gehalten, dann ein paar
Jahre lang für eine üble Inkassotruppe arme Schuldner eingeschüchtert. Diesen
Job hatten sie verloren, als einer der säumigen Zahler, ein ehemaliger
Amateurboxer, sie vor seiner Wohnungstür zusammengeschlagen hatte und sie mit
blutigen Nasen abziehen mussten. Danach waren sie in einer Abwärtsspirale
angekommen, die in einem versifften Container auf einem Schrottplatz ihr
vorläufiges Ende gefunden hatte.
Horst
Fuchs warf die aufgerauchte Zigarette auf den Boden, wo sie neben den anderen
Kippen landete, und trat darauf. So würde er dieses Arschloch zertreten, wie
diese Kippe unter seinem Fuß. Vorhin hatte er die Nummer des Bullen gewählt und
ihn angerufen. Eine Frau hatte abgehoben und sich fröhlich gemeldet, aber nicht
mit Namen. Das machen bestimmt alle Bullen so, dachte er, war sich jedoch nicht
sicher, weil er noch nie in seinem Leben einen zu Hause angerufen hatte.
Nachdem er Brenner und
die Kneipe verlassen hatte, war er zunächst unschlüssig gewesen, was er mit den
Informationen anfangen sollte, aber dann war es ihm schlagartig klar geworden.
Nach Auskunft des Mannes, der sich mit ihm in der Kneipe getroffen hatte, würde
Wolfgang den Arsch hochreißen. Verrecken. Sterben. Und dieser dämliche Bulle
trug die Schuld daran, das war klar. Was musste er auch hinter ihnen her sein?
Sollte er sie doch in Ruhe lassen!
Er zog erneut das Bild
aus der Hosentasche, das Brenner ihm in die Hand gedrückt hatte. Viel konnte
man darauf nicht erkennen, aber es sollte schon reichen. Immerhin konnte er den
Eingang zum Haus komplett einsehen. Der Bulle würde nicht an ihm vorbeikommen,
so viel war sicher.
25
Thilo
Hain trat auf den Bürgersteig und las dabei die Adressen, die Vockeroth ihnen
aufgeschrieben hatte.
»Ulrich und Charlotte
Winninges aus Bovenden sind die Adoptiveltern des ersten Jungen, der von ihnen
Roman getauft wurde. Sagt dir der Name der Adoptiveltern was?«, fragte er Lenz.
Der schüttelte den Kopf.
»Die Zwillinge, Jutta und
Norbert, sind von einem Ehepaar aus Gießen adoptiert worden, Ferdinand und
Waltraud Preißler.«
Lenz gähnte herzhaft. »Ich
hab keine Lust mehr, Thilo. Wir geben jetzt die Daten der Leute an die Jungs
vom KDD, die sollen sich darum kümmern. Wir sind auch nur Menschen und haben
immerhin ein Leben neben dem Beruf. Ich will einfach nur noch nach Hause.«
»Das ist die geilste Idee,
die ich heute von dir gehört habe«,
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