Schmusemord
Czernys Bude, die offenbar nicht mehr versiegelt ist, liegen kiloweise Papiere rum. Der Anwalt will nichts davon rausrücken; es gibt aber, sagt Komarek, keine Einwände dagegen, daß jemand sie unter juristischer Aufsicht an Ort und Stelle durchsieht.«
Matzbach schwieg ein paar Momente; dann beugte er sich vor, daß der Liegestuhl knirschte, legte eine Fingerspitze in Hermines Schlüsselbeingrube und sagte: »Die olle DS muß mal wieder eine längere Strecke fahren. Hast du hier was Dringendes vor?«
»Ah.« Hermine setzte sich auf und blinzelte schnell. »Wien? Da war ich ewig nicht mehr. Nee, nichts Dringendes. Die Leute, die die Büste bestellt haben, wollen Anfang nächster Woche anrufen.«
»Bis dahin sind wir zurück. Wahrscheinlich. Du kannst sie ja vorsichtshalber warnen.«
»Wann geht’s los?«
Er leerte seinen Becher und stand auf. »Ich werd mal ein bißchen telefonieren. Yü und Komarek und so was. Wenn nichts uns hemmt, können wir gleich los.«
»Mann, hast du es eilig! Reicht morgen früh nicht?«
Er grinste. »Unterwegs gibt’s bestimmt ein paar interessante Hotelbetten.«
Hermine klimperte mit den Wimpern. »Ach, schweig still, mein hungrig Herze.«
5. Kapitel
Nur wer nichts zu verlieren hat, sollte Mönch werden;
nur wer nie gewinnt, wird beim Lotto zugelassen.
F ELIX Y Ü
Aber die Telefoniererei sorgte für mehrere Änderungen in dem, was Matzbach selbst noch längst nicht für einen Plan hielt. Komarek war wieder nicht zu erwischen, und mit dem näselnden Typen auf dem Band wollte Baltasar seine nächsten Tage nicht erörtern. Dafür kam ihm, als er aufgelegt hatte, ein ganz anderer Gedanke. Genauer: eine vage Ahnung. Etwas, das er in den letzten Tagen gesehen hatte, wollte aus dem hinteren Speicher in den Vordergrund geholt werden.
Baltasar griff zu dem Stapel mit unsortierten Unterlagen. Etwas war da … Was auch immer. Es dauerte eine Weile, bis er fand, was gefunden werden wollte; dabei dachte er über die seltsamen Aktivitäten des Gehirns nach. Er war nicht imstande, auch nur zu raten, was diesen hektischen Schub ausgelöst hatte. Ein Geruch? Ein Nebengeräusch? Oder gab es vielleicht doch so etwas wie eine Kausalität des Gleichzeitigen – hatte ein Schmetterling über den Azoren durch Flügelschlag einen Sturm verursacht, dessen Finalfraktale in Finnland einen Baum knickten, welcher soeben im Fallen den Gedankengang gezeugt haben mochte?
Was er ahnungslos gesucht hatte, war eines der schlechten, körnigen Zeitungsfotos, die Elias Jüssen zeigten. Er hielt die Aufnahme einen Moment in der Hand. Beim ersten Sichten war ihm daran nichts aufgefallen; nun wußte er plötzlich, daß er diesen Mann schon einmal irgendwo gesehen hatte. Flüchtig, lange her, nur: wo?
Dann lachte er halblaut; plötzlich wußte er es, oder glaubte jedenfalls, es zu wissen. Etwas eben noch sehr Verschwommenes wurde zur deutlichen Erinnerung. Von der er annahm, daß sein Gehirn sie produzierte, um ihm einen Gefallen zu tun. Es mochte durchaus eine fiktive Erinnerung sein, Zugabe eines erfindungsreichen Gedächtnisses.
Nicht unbedingt die nächstliegende Assoziation, sagte er sich; aber immerhin hatte er vor ein paar Tagen an diese Körperschaft gedacht, und so überlegte er, wie lang es her sein mochte, daß er zuletzt einen der Abende der Gesellschaft zur Stärkung der Verben e.V. aufgesucht, erlitten, genossen oder sonstwie mitbestritten hatte. Zwei Jahre? Zweieinhalb? Zum allerersten Mal war er im Herbst oder Frühwinter 1981 an diesen seltsamen Verein geraten; er erinnerte sich an muntere Sprachspiele, an denen sich auch ein Mann beteiligte, dem er später zur ultimaten Sprachlosigkeit hatte verhelfen müssen. ›Ultimate Sprachlosigkeit?‹ dachte er; ›das ließe sich auch von neunzig Prozent des öffentlichen und hundert Prozent des privaten Fernsehens vor Mitternacht sagen, von Politikern nicht zu reden.‹
Nach kurzem Suchen fand er die Kladde, in der er die Nummer der Vorsitzenden des Verbenclubs notiert hatte.
Dr. Maria Gabrieli meldete sich nach dem dritten Klingeln. Matzbach räusperte sich, bat um Vergebung für die Störung und behauptete, er sei sicher, daß Madame gar nicht mehr wisse, wer er gewesen sei und zu sein fortfahre.
Sie kicherte ein wenig gequält. »Aber Herr Matzbach, als ob man so etwas wie Sie so leicht vergessen könnte.« Es klang, als ob sie diese spezifische Unvergeßlichkeit nicht eben für eine Tugend des schwer Vergeßbaren halte.
»Ich müßte Sie um
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