Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schmusemord

Schmusemord

Titel: Schmusemord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
Vom Netzwerk:
strahlenden erwachsenen Kindern, Jüssen vor seiner Bücherwand (er sammelte Philosophen, wie Baltasar blinzelnd las) und auf der Schwelle eines »Spielzimmers«, in dem die Züge einer ungeheuren Märklin-Anlage um antike Teddys zu kurven schienen, die Jüssen ebenfalls sammelte.
    Das große, recht deutliche Bibliotheksbild interessierte Matzbach, ohne daß er hätte sagen können, warum. Er suchte, wühlte, fand schließlich in einem Schuhkarton mit Steuerbelegen eine Lupe und versuchte, die Titel der Bücher zu entziffern, die im Regal hinter dem Portraitierten standen. Keine Philosophen, stellte er fest, sondern eine in Köln vermutlich einzigartige Sammlung von Werken über die französische Résistance, darunter mindestens zwei Bücher von und fünf über einen Armand du Plessis. Er notierte den Namen und befaßte sich erneut mit Jüssens guten Taten.
    Dabei seufzte er immer wieder. »Wenn es so was gäbe«, murmelte er; oder »sterben bessere Menschen auch irgendwann mal?« oder »daß ich zu seinen Lebzeiten der Erde teilhaftig werden durfte« oder »bääh«, letzteres häufiger. Auf seinem inneren Forum reihten sich die Bildsäulen aneinander, wie häßliche Krüppelbäume, zu deren Füßen ungesehene Unholde und Untiere ihr Unwesen treiben mußten. Jüssen war mit allen wesentlichen Größen portraitiert worden, die seit dem Ende des Kriegs den Großraum Köln/Bonn/Düsseldorf vorübergehend oder dauerhaft beeinträchtigt hatten: Adenauer, Frings, Kühn, Rau, Burauen, Wischnewski, Brandt, Schmidt, Kohl, Worms, Blüm, die edlen Leichtathleten der guten alten Tage, nicht nur des ASV Köln (Jutta Heine, Manfred Germar, Martin Lauer), die Heroen jener fernen Zeiten, da der 1. FC Köln technisch feinen Fußball und unter Flutlicht »wie entfesselt« spielte, von Schäfer und Schnellinger über Overath bis zu Littbarski. Die Haie, das Millowitsch-Ensemble, die Bläck Fööß … »Alles was man sowohl nicht haben will als auch schon länger nicht braucht«, sagte Matzbach halblaut.
    Und alle lobten Elias Jüssen: Große und Kleine, Hohe und Niedrige, Fremde und Freunde. Verdienste um den rheinischen Karneval, die karitativen Einrichtungen im Reich des Kölner Regierungspräsidenten, die deutsch-belgischen Beziehungen, die christlich-jüdische Kommunikation, das britische Empire, die Résistance, »und den Breitensport, den Längensport, den Spitzensport, den Bund und die Republik und das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Hab ich was vergessen?«
    Wenn er dem traute, was er hörte, als er in sich hineinlauschte, dann war Matzbach beleidigt. Beleidigt, weil er das Gefühl hatte, Opfer einer umfassenden Verschwörung zu sein – ein großer Haufen von Leuten hatte sich verabredet, um ihm getürkte Zeitungsmeldungen aus mehreren Jahrzehnten unterzuschieben, in denen das Märchen von einem guten Menschen erzählt wurde. An den Baltasar nicht glaubte. Wenn auch nur die Hälfte von alledem stimmte, sagte er sich, dann hätte Jüssen längst den Friedensnobelpreis bekommen und wäre im Vatikan schon zu Lebzeiten auf die Liste der demnächst zu Kanonisierenden geraten. »So gute Menschen gibt es nicht«, murrte er. »Sonst sähe die Welt nicht seit fünftausend Jahren so aus, wie sie aussieht. Da ist etwas ganz furchtbar faul. Aber was?«
    Zu den Hinterlassenschaften von Albin Czerny gehörte auch ein Videoband; Matzbach, der Amateurfilme und Dia-Abende inbrünstig haßte, hatte es sich bisher verkniffen, einen Blick hinein zu werfen. Nun ging er mit der Kassette ins Haupthaus, warf die Maschinen im Wohnzimmer an und betrachtete eher angeödet eine Reihe von Gesichtern (Czernys Geisterstimme aus dem Off nannte jedesmal Name, Adresse, Alter) in wechselnden Rahmen, meistens unaufgeräumten Wohnzimmern; die dazugehörigen Stimmen berichteten, wie der gute Herr Jüssen auf einen Bittbrief/einen Hilferuf/eine Mitteilung von gemeinsamen Bekannten (etc.) hin dafür gesorgt hatte, daß Unrecht aufgehoben und Folgen von Schicksalsschlägen gemildert wurden. Es waren sämtlich Vorgänge aus den letzten vier oder fünf Jahren; irgendwann keckerte Baltasar, ließ das Band zurücklaufen, holte Papier und Kuli und notierte beim zweiten, oft abgebremsten Schnelldurchgang die Namen, Adressen und – soweit vorhanden – Daten.
    Er braute Kaffee, behelligte Hermine damit sowie mit einer Zigarre und einer gerafften Darstellung der guten Taten des guten Menschen von Köln; dann ging er wieder in seinen Philosophentrakt hinüber und

Weitere Kostenlose Bücher