Schmusemord
einen Gefallen bitten, gnädige Frau«, sagte er. ›Bei diesem Tonfall‹, dachte er, ›würde Hermine jetzt fragen, ob sie einen Lappen holen und die Schleimspur wegwischen soll.‹
»Wenn ich Ihnen helfen kann …«
»Sie können mir auf jeden Fall einen Tip geben. Ich bin auf der Suche nach einem Menschen, von dem ich mir einbilde, ihn bei einem der leider lange zurückliegenden letzten Treffen in Ihrem Haus gesehen zu haben.«
»Wissen Sie, lieber Herr Matzbach« – nun klang sie vorwurfsvoll –, »Sie könnten ja einfach öfter kommen, statt hinterher Ihr Nichtkommen zu bedauern.«
»Ach, wie wahr, wie furchtbar wahr.« Er seufzte theatralisch. »Sagen wir uns das nicht dauernd alle? Dies verpaßt und jenes versäumt …«
»Ja. Um wen geht es?«
»Herr Jüssen. Elias Jüssen.«
»Durchaus möglich, daß Sie ihn hier gesehen haben. Er ist zwar auch nicht immer dabei, aber auf jeden Fall öfter als Sie.«
»Ach, seien Sie doch nicht so streng zu mir; ich kann mir kaum die Absonderung heißer Zähren verkneifen.«
Sie kicherte. »Sie sind ein unmöglicher Mensch.«
»Könnten Sie diesem unmöglichen Menschen vielleicht Herrn Jüssens Telefonnummer geben? Die steht nämlich nicht im Telefonbuch.«
Frau Gabrieli zögerte. »Also, da sollte ich ihn wohl vorher fragen, ob … Wenn er nicht eingetragen ist, wird er seine Gründe haben.”
»Es wäre aber sozusagen dringend. Drängelig, beinahe.«
»Dann kommen Sie doch einfach morgen abend her; es könnte sein, daß Herr Jüssen …«
Matzbach unterbrach. »Morgen? Seit wann trifft man sich denn am Donnerstag? Zuletzt war es doch der Montag.«
»Ach, das haben wir im vorigen Jahr beschlossen, weil man hin und wieder etwas ändern sollte und etliche unserer Freunde an anderen Tagen selten Zeit haben.«
Nach dem Ende des Gesprächs ging Matzbach hinüber zu Hermine, um ihr mitzuteilen, daß der Aufbruch verschoben werden müsse.
»Gesellschaft zur Stärkung der Verben?« Sie gluckste. »Doch, hast du mir mal von erzählt. Und da willst du hin?«
»Es besteht die Chance, dort Jüssen zu treffen.«
»Und was willst du mit ihm anstellen? Ihn fragen, ob er öfter österreichische Journalisten umlegen läßt?«
Er knurrte. »Weiß ich noch nicht. Ich werde noch ein bißchen in den Papieren blättern. Willst du mitkommen?«
»Verben stärken? Immer.«
Komarek rief nicht mehr zurück; auch Morungen, Löwe oder andere potentielle Störenfriede verhielten sich ruhig, so daß Baltasar den ganzen Nachmittag litt und arbeiten mußte, statt am Telefon dumme Reden zu halten. Er wühlte sich durch sämtliche Papiere – Lanzerath, Jüssen, die jeweiligen Geschäfte, Meldungen über Privates, Klatsch, Gerüchte.
Jüssen war seltsam unergiebig. Trotz der Fülle des Materials blieb der Mann ungreifbar. Oder jedenfalls kaum greifbar; es sei denn, man gäbe alle Skepsis gegenüber Menschen vor Beginn der Lektüre ab. Jüssen war ganz einfach makellos, heilig, von allen geliebt, eine Art Weißer Ritter, besser als Lancelot und Galahad zusammen. Er hatte tausend Leuten geholfen, Existenzen zu begründen; er hatte politische Karrieren gestützt (und keine Rede von Animositäten, von Beiträgen zur Beendigung von Karrieren); er half regelmäßig Notleidenden, spendete großzügig, förderte kulturelle Einrichtungen wie Theater, Jugendmusikvereine, Galerien; er stellte Übungsräume für Rockgruppen, Geld und Logistik für Ausstellungen, immer auch seine guten Beziehungen zur Verfügung; er hatte einen Kunstpreis gestiftet und honorierte die mit der Vergabe betrauten Juroren nicht ganz schlecht; er war über die Jahre immer wieder in allen Zeitungen zu finden, wenn Kinderheime eingeweiht, Seniorenstifte eröffnet, Spielplätze ihrer Bestimmung übergeben wurden. Er war Ehrenbürger von mindestens sieben Städten, und im Lauf der Jahre hatte man ihn mit sämtlichen Orden dekoriert, die Matzbach kannte – von den Ehrungen jedes einzelnen Karnevalsvereins zwischen Krefeld und Koblenz bis zu einer der höchsten Stufen des Bundesverdienstkreuzes, eine hohe französische Auszeichnung, »verliehen im Auftrag des Präsidenten der Republik« (das verwaschene Zeitungsbild zeigte Jüssen, in jüngeren Jahren, mit französischen Offizieren), nicht zu vergessen kirchliche und soziale Medaillen, Ehrenmitgliedschaften, Ritterschläge …
Dann die unvermeidlichen Bilder aus dem trauten Kreis: Jüssen mit seiner neuesten Frau (die vorige stand lächelnd daneben), mit liebevoll
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