Schmutzengel
Eins dieser
Worte würde, sobald ich mich dafür entschied, mein Leben beherrschen. Es würde auf meinen Visitenkarten stehen, auf meinem
Briefpapier, auf dem Auto, das ich mir würde anschaffen müssen, und es würde immer mit meinem Namen in Verbindung gebracht
werden. Mit welchem dieser Worte könnte ich mich wohlfühlen? Welches Wort brachte am besten die Idee, die dahintersteckte,
zum Ausdruck? Welches Wort würde bei potenziellen Kunden für ein gutes Gefühl sorgen? Für Vertrauen.
»Bis jetzt zielen alle diese Namen nur auf die Hausreinigung ab«, analysierte Troll mit einem schrägen Blick auf den Zettel.
»Vielleicht finden wir einen Begriff, der auch den Gärtnerservice, die Handwerksarbeiten und die Urlaubsbetreuung einschließt.«
Wir schwiegen einige Minuten.
»Das kann doch nicht so schwer sein«, sagte Troll genervt. »Sag ein paar Adjektive, die das Resultat deiner Dienstleistung
beschreiben«, forderte sie mich auf.
Ich blickte sie verständnislos an.
»Wiewörter«, erklärte Troll. »Zum Beispiel
sauber
.«
»Aha«, sagte ich.
»Sauber beschreibt den Reinigungsteil. Sicher wäre ein Wort für die Urlaubsbetreuung. Jetzt bist du dran. Wir brauchen noch
ein Adjektiv für Handwerksleistung oder Gartenarbeit.«
Ich murmelte: »Sauber … sicher … Schutzengel!«
Troll blickte mich verärgert an, doch dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck langsam aber sicher hin zu einem breiten Grinsen.
»Schmutzengel!«
»Hm.«
Sie stieß mich in die Seite. »Hey, das ist echt gut. Nicht nur, weil es von mir kommt.«
»Hört sich das nicht irgendwie – schmutzig an?«, fragte ich verunsichert.
»Findest du Putzteufel etwa besser?«, fragte Troll ungeduldig.
Ich schüttelte den Kopf, schrieb Schmutzengel auf den Zettel. Starrte das Wort an. Es wurde mir immer sympathischer. Ein Engel.
Engelsgleiches Haar habe ich, das sagten mir die Leute, seit ich drei Jahre alt war. Engel sind in strahlend weiße Gewänder
gekleidet, von hellem Licht umgeben und ganz sauber. Engel helfen den armen Erdenmenschen, wenn diese mit ihrem Hausputz nicht
fertig werden.
Ein Schmutzengel.
Ja, das wollte ich sein. Ich blickte Troll an und nickte. Sie streckte mir mit strahlenden Augen die Hand über den Tisch entgegen.
Ich ergriff sie und einen Moment schüttelten wir uns in feierlichem Ernst die Hände. Dann grinsten wir uns an wie zwei Kinder,
die ein Abenteuer ausgeheckt haben.
Ich war wahnsinnig aufgeregt. »Hilfst du mir?«, fragte ich atemlos. »Ich brauche ein Logo, Briefpapier, Visitenkarten, einen
Werbeflyer, einen Internetauftritt …«
Sie sah mich über den Löffel, den sie sich wieder in den Mund gesteckt hatte, hinweg an. »Du willst das wirklich durchziehen?«,
fragte sie.
Ich war aufgeregt, etwas beunruhigt, von meinem Mut selbst überrascht, aber vor allem eins: fest entschlossen.
»Ja.« Ich straffte mich, so gut es ging nach einunddreißigJahren leicht gebückter Haltung, um nicht ganz so groß zu wirken. »Ich werde Unternehmerin.«
Troll schüttelte den Kopf, nahm den Löffel aus dem Mund, klopfte damit der Dame am Nebentisch auf die Schulter und flüsterte
ihr zu: »Die da«, wobei sie mit dem Löffel auf mich wies, »die ist verrückt.«
Es stand der Dame am Nebentisch zweifelsfrei ins Gesicht geschrieben, wen von uns beiden sie für verrückt hielt, aber sie
sagte nichts, wischte nur mit ihrer fetten, vielfach beringten Hand über die Schulter, wo der Löffel sie berührt hatte, warf
mir noch einen strafenden Blick zu und wandte sich von uns ab.
»Okay, ich übernehme deine Werbung. Erster Schritt ist eine Posterkampagne eines nackten Engelchens mit Wischmop, danach kommt
eine Großaufnahme von dir mit beiden Armen in der Kloschüssel und zum Schluss deine Telefonnummer mit dem Hinweis, dass Männer
mit einem schmutzigen Geheimnis sich bei dir melden sollen.«
Ich nickte und winkte der Kellnerin. »Zwei Gläser Sekt, bitte.«
4
Auf dem Weg zu meinem eigenen Unternehmen wurde ich langsam aber stetig immer schlanker. Meine Gewichtszunahme in den vergangenen
Jahren hatte hauptsächlich zwei Ursachen gehabt. Erstens war sie auf die Übernahme der Werbeaktivitäten für einen großen Süßwarenhersteller
durch AIQ zurückzuführen. Mit Beginn der Zusammenarbeit nahm der Schokospezialist seine monatlichen Lieferungen an die Agentur
auf und bald standen auf jedem Schreibtisch große Schalen mit Energieriegeln, Trüffeltörtchen und
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