Schmutzengel
Straßenbahn und benutzte stattdessen die
eigenen Beine. An den Wochenenden binich oft den ganzen Tag am Rhein entlanggegangen, bis es dunkel wurde.
Diese Freizeitbeschäftigung hatte ich aufgegeben, als ich Greg kennenlernte. Greg hielt Spazierengehen oder Wandern für Alte-Leute-Kram.
Er joggte. Wenn auch unregelmäßig. Ich stellte nun fest, wie sehr mir das schnelle Gehen an der frischen Luft gefehlt hatte,
und nahm mir vor, wieder mehr Wege zu Fuß zurückzulegen.
Ich hatte keine Lust, nach Hause zu gehen, sondern setzte mich in ein Café und bestellte mir eine Apfelschorle. So ein Marsch
über etliche Kilometer macht ganz schön durstig.
Ich studierte die Formulare und verstand kein Wort. Zum Glück hatte die Beraterin noch fünf Broschüren zwischen die Formulare
geschmuggelt, deren eng bedruckte Seiten Hunderte von Voraussetzungen, Wahlmöglichkeiten, rechtliche Grundlagen, Richtlinien,
Checklisten und wichtige Hinweise für Existenzgründer enthielten.
Existenzgründer. Was für ein Wort.
Ich arbeitete mich gewissenhaft durch jede Broschüre, jedes Gesetz, jede Richtlinie, jede Checkliste und drei Tassen Milchkaffee.
Himmel, war das kompliziert! Traute ich mir das wirklich zu? Ich war mir ganz und gar nicht sicher.
Ich rief Troll an, erreichte ihre Mailbox und sagte, sie solle sich melden. Es gebe eine wichtige Entwicklung in Sachen beruflicher
Zukunft, die ich unbedingt mit ihr besprechen müsse. Es dauerte Stunden, bis sie zurückrief und dann noch einmal eine, bis
sie endlich kam. Wir hockten in meinem Arbeits-Wohn-Schlafzimmer, futterten Möhren, und ich erzählte ihr von meiner Idee,
mich selbstständig zu machen.
»Und was willst du als Selbstständige tun?«, fragte sie.
Ich erzählte ihr von dem unterbrochenen Vorstellungsgespräch und erklärte ihr kurz meine Idee.
»Du willst Putzfrau werden?«, fragte sie entgeistert. »Aus der coolsten Branche der Welt mit einem Kopfsprung ins Klo? Hast
du was geraucht?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Getrunken?«
»Nein.«
Sie schwieg mehrere Minuten, in denen sie ihre Möhre mit aggressiven Kaubewegungen atomisierte und ich unsicher auf eine Reaktion
wartete.
Endlich kam sie zurück zum Thema. »Also, Klofrau, was genau willst du tun?«
»Ich will einen Wohnungsrundumbetreuungsservice gründen«, entgegnete ich.
»Allein das Wort ist eine Bankrotterklärung jeglicher Ausbildungsbemühungen, die AIQ in dich investiert hat«, mokierte sie
sich.
»Den Firmennamen habe ich ja noch nicht festgelegt«, erwiderte ich mit etwas angestrengter Sachlichkeit. »Du darfst mir gern
dabei helfen, o Wortgewaltige.«
Die Wortgewaltige hatte heute schlohweißes Haar, nachdem wir in den letzten Wochen fast die ganze Palette des Regenbogens
durchgegangen waren. Sie grinste spöttisch und sagte huldvoll: »Dann erkläre mir, worum es geht und ich sage dir, wie du dich
nennen darfst.«
Ich überlegte einen Moment, denn so ganz genau hatte ich das Leistungsspektrum, das ich anbieten wollte, noch nicht definiert.
»Ich will Menschen, die keine Zeit haben, sich um ihren Haushalt zu kümmern, genau das abnehmen. Das Kümmern.«
»Corinnas Kümmerkasten«, sagte Troll.
Ich verkniff mir eine Reaktion.
»Ich biete die Vermittlung von Putzpersonal, Handwerkern und Teppichreinigern an, ich organisiere den Wocheneinkaufoder liefere Häppchen und Bier für die Party. Ich beauftrage und überwache den Gärtner, sorge dafür, dass der Schornsteinfeger
aufs Dach und an die Rußklappe kommt und nehme Lieferungen entgegen.«
»So eine Art Butler, Concierge und Catering-Service in einem«, sagte Troll.
»Genau.«
»Also BuCoCa«, murmelte Troll mit geschlossenen Augen. »Oder CaBuCo, CoCaBu oder …«
»Sehr hilfreich«, warf ich leicht verärgert ein. Für mich war das hier kein Spaß, ich meinte es verdammt ernst. Todernst –
aber das konnte ich damals ja noch nicht wissen.
»Du bekommst den Schlüssel?«, fragte Troll.
»Ja.«
»Und fährst morgens zur Bude, um die Putzfrau reinzulassen, nachmittags noch mal, weil der Handwerker kommt, zwischendurch
für den Schornsteinfeger und abends für die Leute vom Zeltverleih, Getränkemarkt und Catering-Service.«
»Na ja. Ja.« Das kam schon etwas kleinlauter.
»Und du meinst, wenn du einen Handwerker anrufst, dann kommt der sofort gesprungen, während normale Leute eine Woche auf ihn
warten müssen?«
»Hm.«
»Und natürlich wirst du nur etwa drei Kunden haben, denn wenn du
Weitere Kostenlose Bücher