Schmutzengel
Lauenstein, dass ich eine Idee hätte und jemanden anrufen würde. Die tiefe Verzweiflung verschwand aus seinem Gesicht
und machte einer vorsichtigen Hoffnung Platz. Er sah aus wie ein Junge, dessen kaputtes Lieblingsspielzeug vielleicht doch
noch repariert werden kann.
Sein Vertrauen rührte mich.
Ich ging zum Telefon.
Troll meldete sich sofort.
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte ich.
»Was gibt’s?«, fragte sie.
Ich hatte keine Zeit für lange Erklärungen.
»Ich muss eine Leiche wiederfinden, die ich Freitagnacht in einen Güterwaggon gelegt habe«, sagte ich.
»Hast du was geraucht?«, fragte Troll zurück.
»Kein Alkohol, kein Nikotin, keine sonstigen Drogen. Nur Hustensaft.«
»Ich komme«, sagte sie, und mir fiel ein Stein vom Herzen. »Als Erstes will ich den Beipackzettel sehen.«
Ich setzte mehr Kaffee auf, denn ohne Koffein ist Troll wie eine Schaufensterpuppe: Sie kann herumstehen und Kleider tragen,
aber weder denken noch handeln. Lauenstein beobachtete meine von regelmäßigen Hustenanfällen unterbrochenen Bemühungen und
zügelte sichtlich seine Ungeduld. Endlich klingelte es, ich öffnete die Tür und wurde von Troll förmlich überrannt.
»Mensch, ist das kalt«, sagte sie, während sie mich zur Seite drängte und an mir vorbei in die Küche stürmte. »Wer ist das
denn?«, schob sie hinterher.
»Das ist …«, begann ich, während Troll sich an der Kaffeemaschine bediente.
»Rüdiger«, sagte Lauenstein schnell.
Troll und ich sahen uns an, ich verkniff mir das Lachen, sie nicht.
»Haben Sie Ihre Eltern wenigstens verklagt?«, fragte Troll. »Wegen seelischer Grausamkeit?«
Ich hielt die Luft an und beobachtete Lauenstein aus dem Augenwinkel. Nicht jeder versteht Trolls Humor und ihre direkte Art.
Ich hätte gewettet, dass Lauenstein den Witz gar nicht kapieren würde. Diese Wette hätte ich verloren. Er grinste schief,
das erste Mal, dass ich ein Grinsen an ihm sah. »Mein Anwalt sagt, dass die Aussicht auf Schadensersatz innerhalb der Familie
verschwindend gering ist, deshalb habe ich es erst gar nicht versucht.«
Troll, die ihr Haar heute in bayrischen Rauten gefärbt trug, setzte sich mit ihrem Kaffee an den Tisch und sagte zu mir: »Gefällt
mir, der Vogel. Wo ist der Beipackzettel?«
Dann entdeckte sie weitere Mürbchen in der Tüte und schob sich eins fast vollständig in den Mund.
Lauenstein blickte verständnislos zwischen uns hin und her. Ich winkte ab.
»Was ich am Telefon über die Leiche gesagt habe, war mein Ernst«, sagte ich.
Troll konnte mit dem Mürbchen im Mund nicht antworten, sie riss aber die Augen weit auf und schüttelte den Kopf.
»Ich habe einen Toten im Haus von Herrn, äh, Rüdiger gefunden und gedacht, dass das ein Einbrecher sei, der hineingekommen
ist, weil ich die Tür nicht richtig abgeschlossen hatte.«
Troll starrte mich an. Reglos. Sie kaute nicht mehr, schluckte nicht mehr, schüttelte nicht mehr mit dem Kopf. Fast unheimlich.
»Ich habe die Leiche also weggeschafft und Freitagabend in einen Güterwaggon gelegt, der gleich darauf losfuhr.«
Troll verschluckte sich und hustete nasse Krümel durch die Gegend.
»Leider stellte sich jetzt heraus, dass die Leiche kein Einbrecherwar, sondern vermutlich der Vater von Herrn, äh, Rüdiger und daher müssen wir sie wiederbeschaffen.«
Trolls Blick irrlichterte zu Lauenstein, blieb dort aber nicht lang haften, sondern kam langsam und unter heftigem Blinzeln
zu mir zurück.
»Wie bekommen wir heraus, wo der Güterwaggon von Freitagnacht abgeblieben ist?«, fragte ich.
Troll war immer noch nicht in der Lage zu sprechen, doch sie nahm ihr Telefon aus der Tasche und zeigte darauf.
»Wen rufen wir an?«, fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern.
Lauenstein und ich blickten uns an. Sein Blick schien zu fragen, ob ich ernsthaft glaubte, dass dieses Wesen mit der bayrischen
Flagge auf dem Kopf zur Lösung unseres kleinen Problems beitragen könne. Ich nickte verschwörerisch.
»Er heißt Richard«, sagte Troll, sobald sie wieder sprechen konnte. »Er kann uns sicher weiterhelfen. Hast du weitere Details?«
Ich versuchte, mich an die Uhrzeit und die Beladung des Güterzugs zu erinnern und zählte alles auf, was mir in den Sinn kam.
Die Autos, der Molkereitankwagen, die Überseecontainer. Sie zeigte keine Regung und nuckelte ununterbrochen an ihrem Kaffeebecher.
»Ich gehe dann mal telefonieren«, sagte sie plötzlich und ging hinüber ins Büro.
Lauenstein und ich
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