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Schmutzengel

Titel: Schmutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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dass man seine Dummheiten selbst ausbügeln muss. Ich hatte keine Wahl.
     Komischerweise schien mich Troll auch ohne Antwort zu verstehen.
    Sie warf einen Blick auf ihre Uhr, schnappte sich die Tüte mit dem letzten Mürbchen und sagte: »Ich hatte heute sowieso nichts
     Besonderes vor und dich kann ich in dem Zustand unmöglich allein lassen. Ich fahre.«
    Ich konnte mein Glück kaum fassen, griff nach meinem Schlüsselbund und lief Troll nach, die bereits auf dem Bürgersteig stand
     und mit bloßen Händen den frischen Schnee von meinem Auto fegte.
     
    Den Weg nach Montzen verschlief ich zum größten Teil. Ab und zu schreckte ich hoch und fühlte mich wie gerädert, als Troll
     mich endlich weckte.
    Wir standen vor einem verschlossenen Tor.
    »Mist«, entfuhr es mir. »Wie kommen wir da rein?«
    »Von hier aus jedenfalls nicht.«
    Sie setzte den Wagen zurück und fuhr an der Absperrung entlang. Der Zaun war drei Meter hoch und machte einen sehr stabilen
     Eindruck. Und er war unendlich lang.
    »Du lieber Himmel«, sagte ich. »Wie finden wir auf diesem riesigen Gelände den richtigen Waggon?«
    »Er steht bei P23«, sagte Troll, als wäre damit alles gesagt.
    Mein Kopf fühlte sich an, als wolle er gleich platzen, vermutlich waren alle Nebenhöhlen mit dickem, grünem Eiter vollgestopft.
     Die Hustenanfälle kamen in Dreißig-Sekunden-Abständen, jedes Mal glaubte ich, dass ich ein Stückchen Lunge ausspucken würde.
     Ich war nicht in der Lage, die ominösen P23 zu hinterfragen. Mir war alles egal. Ich vertraute mich Troll komplett an. Sie
     würde es schon richten.
    Dort, wo die Straße vom Bahngelände wegführte, endete der Superzaun. Troll fuhr ein paar Meter in einen Waldweg und parkte.
    »Woher kennst du dich hier aus?«, fragte ich jetzt doch neugierig.
    »Ich habe meine Quellen.«
    »Richard?«
    »Zum Beispiel.«
    Wir stiegen aus, gingen die Böschung hoch und kamen an den alten Zaun des Bahngeländes. Löchrig und halb verrottet, ein Witz
     im Gegensatz zu der Hochsicherheitsgrenzbefestigung, die den südlichen Teil des Areals abschirmte. Problematisch waren nur
     die Ilex-Hecke und das Brombeergestrüpp. Troll ging auf der Suche nach einer Lücke an dem Dickicht entlang, ich stolperte
     auf dem Schneematsch hinter ihr her. Endlich hatten wir den Durchgang gefunden, von dem meine Führerin offenbar gewusst hatte,
     dass er hier irgendwo sein musste. Der geheimnisvolle Richardschien sich wirklich sehr gut auszukennen. Über die Gründe für seine detaillierte Kenntnis illegaler Schleichwege auf ein
     Güterbahngelände wollte ich lieber nicht spekulieren.
    Wir schlüpften durch das Loch. Troll wandte sich nach links, ich folgte ihr. Das Rumpeln der Züge, die hier zusammen- oder
     auseinandergekoppelt wurden, das Quietschen der Bremsen und das Pfeifen der Lokomotiven erfüllte die kalte, neblige Luft mit
     einem unheimlichen Krach. Während wir an Gleisen entlangschlichen und über Puffer kletterten, hatte ich ständig Angst, dass
     genau dieser Zug in genau diesem Moment losfahren und uns zerquetschen würde. Einmal war es nahe dran, aber wie durch ein
     Wunder blieben wir verschont.
    Ich glühte inzwischen vor Fieber und fühlte mich wie in einem Cyberanzug. Zwar hatte ich den Eindruck, hier zu sein, aber
     gleichzeitig war ich mir sicher, dass dies nicht die echte Wirklichkeit war. Würde ich so etwas in einem Roman lesen, fände
     ich es garantiert unglaubwürdig und konstruiert. Ich fing an, mich selbst zu bemitleiden.
    Hätte ich mich doch niemals selbstständig gemacht. Ich musste größenwahnsinnig gewesen sein. Für dieses Leben war ich einfach
     nicht geschaffen. Man sah ja, wohin das führte. Als arbeitslose Werbekauffrau hätte ich mich einige Monate in der sozialen
     Hängematte ausruhen können, um dann irgendwann einen schlecht bezahlten Job bei einem narzisstischen Wichtigtuer anzunehmen.
     Hätte regelmäßig in dessen geweitete Nasenlöcher geschaut und so getan, als würden sowohl dieser Anblick als auch sein dummes
     Gerede mich völlig verzücken. Wäre das wirklich so schlimm gewesen? Nein. In diesem Moment kam mir diese Vorstellung wie der
     Himmel auf Erden vor.
    Stattdessen würde mich vermutlich gleich die Bahnpolizei erwischen, wie ich gerade mit einer Leiche über derSchulter das Gelände verließ. Das wäre dann unbefugtes Betreten und Diebstahl. Vielleicht würden sie mir sogar einen Mord
     in die Schuhe schieben.
    Mord!
    Wie hatte ich nur so dämlich sein können,

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