Schmutzengel
blieben schweigend zurück.
Eigentlich wollte ich ihn fragen, in welcher Branche er tätig war, woher er die ganzen Sachen mit der Leichenstarre wusste,
ob er vielleicht Arzt, noch schlimmer: Rechtsmediziner war, aber gleichzeitig hielt ich es für unangebracht, die Situation
auszunutzen und meine Neugier über die persönlichen Verhältnisse eines Kunden zu befriedigen. Mein Unternehmensmotto lautete
schließlich Diskretion. Stattdessenfragte ich also unverfänglich: »Noch Kaffee?« Er lehnte dankend ab.
Es dauerte mindestens zwanzig Minuten, bis Troll wiederkam, aber als sie endlich auf der Türschwelle erschien und mich aus
dem inzwischen unangenehmen Schweigen erlöste, trug sie ein zufriedenes Lächeln im Gesicht.
»Richard war etwas ungehalten, dass ich ihn sonntags um diese Zeit störe, aber er hat mir die Nummer des diensthabenden Disponenten
gegeben. Der wollte wissen, warum ich diese blöde Frage stelle, und ich habe ihm eine herzzerreißende Geschichte von meiner
Katze erzählt, die mit seinem blöden Waggon auf Reisen gegangen ist. Und jetzt kommt die gute Nachricht: Die leeren Waggons
des Zuges sind nur zu einem Rangierbahnhof verschoben worden, weil sie heute Abend von dort zum Antwerpener Hafen gehen.«
»Wann?«, fragte Lauenstein.
»Um halb sieben geht es los.«
»Welcher Rangierbahnhof ist es?«, fragte ich.
»Montzen.«
»Montzen?«, fragten Lauenstein und ich wie aus einem Mund.
»Belgien«, sagte Troll. »Ich glaube, ihr solltet euch sputen.«
Wir blickten uns überrascht an. Mir jedenfalls wurde erst in diesem Moment klar, dass wir beide gemeinsam auf die Jagd nach
einer Leiche gehen würden. Ich fühlte mich in eine dieser Hollywoodkomödien versetzt, die ihren Spaß daraus ziehen, ein ungleiches
Paar mit Handschellen aneinanderzuketten und peinlichen Situationen auszusetzen. Genau das stand Lauenstein und mir bevor.
Bevor ich etwas Sinnvolles sagen konnte, klingelte sein Handy. Mit einem leisen, warmen Glockenklang. Lauensteinnestelte hektisch in seiner Tasche, zog das Gerät heraus und meldete sich.
»Ja, das ist richtig«, sagte er in einem Tonfall, den ich eher bei einem evangelischen Krankenhausseelsorger vermutet hätte
und der so klang, als fehle jetzt nur noch das »mein Sohn«.
»Selbstverständlich«, murmelte er weiter mit dieser samtigen Wärme in der Stimme. »Ich komme.«
Er klappte sein Telefon zu, blickte mich erst unsicher, dann zerknirscht an, straffte schließlich aber die Schultern und sagte
in fast geschäftsmäßigem Tonfall: »Ich fürchte, Sie müssen allein nach Belgien fahren.«
Einen Augenblick glaubte ich noch, mich verhört zu haben, aber die steile Falte zwischen seinen Augenbrauen machte mir klar,
dass dies weder ein Missverständnis noch ein Witz war. Er erwartete allen Ernstes von mir, dass ich allein loszog. Ich schüttelte
den Kopf.
»Das kommt gar nicht in…«
»Dies ist ein Notfall«, sagte er mit Blick auf sein Telefon. »Ein Todesfall.«
»Haben Sie gelegentlich auch Umgang mit Lebenden?«, warf Troll ein.
Lauenstein warf ihr einen missmutigen Blick zu.
»Es tut mir wirklich leid.« Er stockte, sammelte sich. »Ich hoffe inständig, dass Sie das wieder in Ordnung bringen können.«
Er stand auf, machte einen Schritt zur Tür, zögerte, kam zurück zum Tisch und streckte mir in einer linkischen Geste die Hand
hin, die ich ergriff. Sein Händedruck war warm und fest.
»Tja, wenn’s was zu tun gibt, hauen die Kerle ab«, sagte Troll, die mit verschränkten Armen und verschlossenem Gesichtsausdruck
neben dem Tisch stand. Lauenstein warfihr einen düsteren Blick zu, nickte zum Abschied und zog die Tür hinter sich zu.
Ich hockte am Tisch und starrte hinter ihm her. Gerade eben war er mir fast sympathisch gewesen, aber das schob ich jetzt
auf meinen Fieberwahn. Weder sein schüchternes Lächeln noch sein lausbübisches Grinsen noch sein unerwarteter Humor konnten
die Tatsache aufwiegen, dass er sich in dem Moment, in dem es ernst wurde, verdrückte.
»Du hast doch nicht wirklich vor, nach Belgien zu fahren?«, fragte Troll. »Du siehst beschissen aus, bist todkrank und du
hast Fieber.«
Ich nickte. Ich fühlte mich in der Tat beschissen, todkrank und fiebrig. Und ich hatte ganz sicher keine Lust auf eine Spritztour
nach Montzen, um dort eine Leiche aus einem Waggon herauszuzerren, in den ich sie erst unter größter Anstrengung hineingehievt
hatte. Andererseits hat meine Oma mir beigebracht,
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