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Schmutzengel

Titel: Schmutzengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nur ist er jetzt
     leider wieder verschwunden. Wenn die Leiche nicht wieder auftaucht, wird es Jahre dauern, bis sein Tod offiziell festgestellt
     werden kann.«
    »Aber die Polizei wird doch die Leiche irgendwann finden und kann dann immer noch seine Identität feststellen«, sagte ich.
    »Unwahrscheinlich«, sagte Lauenstein tonlos.
    Ich überlegte fieberhaft. »Doch, bestimmt. Immerhin haben Sie diese Vermisstenanzeige aufgegeben. Wenn also irgendwo eine
     anonyme Leiche auftaucht, wird man wohl so schlau sein und die Liste der verschwundenen Personen abgleichen und dann   …«
    »Vielleicht«, sagte Lauenstein. »Vielleicht auch nicht. Das ist alles viel zu unsicher. Ich muss es aber jetzt wissen, verstehen
     Sie?«
    Er lehnte sich plötzlich über den Tisch und ergriff meineHand. »Bitte sagen Sie mir, was mit der Leiche passiert ist«, flehte er mich beinahe an.
    Oho, Generalangriff. Ich war nervös, bekam kaum einen Ton heraus. »Wie kommen Sie darauf, dass ich   …«
    »Die Nachbarin von gegenüber hat Ihren Wagen am Tag nach meiner Abreise aus meiner Einfahrt kommen gesehen.«
    Die alte Schnepfe!
    »Ich weiß, dass Sie noch mal da waren. Sie sind der einzige Mensch außer meiner Mutter und mir, der einen Schlüssel hat. Was
     haben Sie in meinem Haus gemacht? Und wo um Himmels willen ist die Leiche?«
    Seine Stimme war immer lauter geworden, allerdings nicht vor Wut, sondern eher vor Verzweiflung. Die Hand, die erst auf meinem
     Arm lag, zog an meinem Ärmel. Je zappeliger Lauenstein wurde, desto ruhiger wurde ich. Diesen Wesenszug hatte ich von meiner
     Oma, da war sich die ganze Familie einig. In unserer Familie sind die Frauen das starke Geschlecht.
    »Als ich montags zum Putzen kam, habe ich vor dem Tor einen Obdachlosen gesehen und, nachdem ich bei Ihnen geputzt habe, die
     Kühlraumtür nicht ordentlich verschlossen.«
    Lauenstein hing an meinen Lippen.
    »Wegen der offenen Tür bin ich am nächsten Tag zurückgekommen. Ich hatte Angst, dass ein Einbrecher durch den Kühlraum in
     Ihr Haus kommt und alles ausräumt.«
    »Und da sind Sie direkt über die Leiche gestolpert«, flüsterte Lauenstein.
    »Ich dachte, es sei der Obdachlose, der sich ein nettes Plätzchen gesucht hätte«, erklärte ich. »Also habe ich ihn weggeschafft.«
    Lauenstein starrte mich mit entsetzt aufgerissenen Augenan. »Sie haben nicht die Polizei gerufen? Oder einfach die Tür zugemacht und das Weite gesucht?«
    So, wie er das sagte, klang es, als seien beide Handlungsweisen vollkommen richtig und vernünftig gewesen. Waren sie vermutlich
     auch. Aber ich hatte das Problem auf meine Art lösen wollen. Ich schüttelte beschämt den Kopf.
    »Wohin haben Sie ihn gebracht?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
    Er stierte mich unverwandt an und ich fühlte, wie mir das Blut in die Wangen schoss, und hörte es in den Ohren rauschen. Ich
     blinzelte, drehte den Kopf weg. Meine Augen wanderten über die Fensterbank, auf der der sterbliche Überrest einer Basilikumpflanze
     langsam zu Staub zerfiel. Asche zu Asche, Staub zu Staub. War ich denn nur noch vom Tod umgeben?
    »Na ja«, murmelte ich, »ich kann Ihnen sagen, wo ich die Leiche hingebracht habe, aber – da ist sie nicht mehr.«
    Lauenstein machte eine auffordernde Handbewegung.
    »Ich habe sie in einen leeren Güterwaggon gelegt, der kurz darauf losfuhr«, sagte ich.
    Er griff sich in die wirr vom Kopf abstehenden Haare. »Ich kann es nicht fassen. Was haben Sie sich denn nur dabei gedacht?
     Wie haben Sie es überhaupt geschafft, einen fünfzig Kilo schweren Toten da hineinzulegen?«
    Ich grinste schief und unbeholfen und staunte im Nachhinein über mich selbst. Die drei Tage, die der Tote in meinem Kofferraum
     verbracht hatte, unterschlug ich Lauenstein wohl besser.
    »Wohin fuhr der Zug?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    Lauenstein verschränkte die Hände auf der Tischplatte und ließ den Kopf darauf sinken. Oh, mein Gott, er tat mir so leid.
    »Die Leiche wird spätestens gefunden, wenn der Waggon beladen werden soll, und dann vergleicht die Polizei die Beschreibung
     mit der Vermisstenliste und identifiziert   …«, wiederholte ich.
    Lauenstein schüttelte den auf den Händen liegenden Kopf, was zu seltsamen Verrenkungen führte, die sich über Schultern und
     Wirbelsäule fortsetzten. Er erinnerte mich an einen Regenwurm, den man mit der Harke aus dem Boden gezogen hat und der sich
     nun auf dem Stahlhaken windet.
    »Wie sollen sie ihn identifizieren?«, fragte

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