Schmutzengel
Fernsehen. Ich war sprachlos.
Lisbeth rief noch während des Abspanns an. »Was hast du dem Mann geboten?«, fragte sie.
»Nichts.«
»Hm.« Ich glaubte, einen anzüglichen Unterton in diesem Hm hören zu können, aber sie führte das Thema nicht weiter aus. »Damit
ist die Sache aus der Welt.«
»Jetzt muss ich nur noch Tabea besänftigen«, sagte ich.
Allerdings hielt ich diese Aufgabe für deutlich schwieriger, als die Weltöffentlichkeit mit einer Fernsehsendung gnädig zu
stimmen.
Tabea machte es mir nicht leicht. Sie nahm keinen meiner Anrufe entgegen, aber ich kündigte einfach meinen Besuch für Sonntagvormittag
auf ihrem Anrufbeantworter an. Ich ging früh zu Bett, denn ich fühlte mich immer noch recht schlapp. Am Sonntagmorgen erwachte
ich zum ersten Mal seit Wochen ausgeruht und unternehmungslustig, machte mir einen Kaffee und aß ein Müsli.
Während des Frühstücks genehmigte ich mir die Lektüre des Anzeigenblättchens, dann noch eine zweite Tasse Kaffee, aber irgendwann
musste ich mir eingestehen, dass ich lediglich Zeit schinden wollte. Entschlossen räumte ich den Frühstückstisch ab, holte
meine dicke Daunenjacke und eine Mütze aus dem Schrank und machte mich auf den Weg zu Tabeas Wohnung. Zu Fuß.
Schon nach einer halben Stunde bemerkte ich, dass ich meine Kräfte überschätzt hatte. Trotzdem genoss ich den Spaziergang
unter einem klaren, blauen Himmel. In den letzten Wochen war ich immer weniger an die frische Luft gekommen, das musste ich
unbedingt ändern. Schon wieder ein guter Vorsatz. Ich grinste. Immer hatte ich mich geweigert, das neue Jahr mit guten Vorsätzen
zu belasten, aber nun fasste ich innerhalb weniger Tage gleich einen ganzen Berg davon.
Tabea öffnete nicht. Jedenfalls nicht nach dem ersten, dem zweiten oder dem dritten Klingeln. Ich ging eine Runde um den Block
und drückte zwanzig Minuten nach dem ersten Versuch erneut auf den Knopf. Dann noch einmal. Endlich knackte es in der Gegensprechanlage.
»Ja bitte?«
»Ich bin’s, Corinna. Ich bin gekommen, um dich um Entschuldigung zu bitten.«
Es knackte wieder.
Die Tür blieb zu.
Ich klingelte erneut.
»Ja?«
»Bitte mach auf, Tabea. Ich meine es ernst. Ich weiß, was ich falsch gemacht habe, und es tut mir sehr leid.«
»Hast du etwas zu essen dabei?«, fragte Tabea durch die knisternde Gegensprechanlage.
»Nein.«
»Zwei Ecken weiter ist eine Bäckerei. Bring mir ein Croissant und ein Mürbchen mit Rosinen mit.«
Die Gegensprechanlage knackte wieder.
Ich hatte eiskalte Füße, musste dringend aufs Klo und fand diese Spielchen blöd, aber ich wollte Tabea nicht verlieren. Das
war mir in den letzten vierundzwanzig Stunden sehr klar geworden. Sie war meine beste Freundin, meine wichtigste Ratgeberin
und der Farbklecks in meinem konventionellen Spießerleben.
Ich ging zur Bäckerei und stand kurz darauf wieder an Tabeas Gegensprechanlage.
»Ja?«
»Ich habe das Gebäck besorgt und muss aufs Klo. Bitte mach auf!«
Der Türdrücker summte und ich tastete mich vorsichtig durch das halbdunkle Treppenhaus bis unter das Dach. Die Wohnungstür
stand offen, Tabea lehnte an der Wand.
»Zum Klo geht’s da lang«, sagte sie und zeigte nach rechts.
Ich drückte ihr die Brötchentüte in die Hand, schälte mich aus der Jacke und verschwand erst mal auf der Toilette. Als ich
in das einzige Zimmer des Siebzig-Quadratmeter-Dachbodens trat, hockte Tabea mit untergeschlagenen Beinen auf einem vier Meter
langen Sofa, das sie, wie ich inzwischen weiß, aus dem Fundus des Schauspielhauses ersteigert hatte. In einer Ecke des Zimmers
lag eine Matratze auf demBoden, es gab eine kleine Küchenzeile und einen Tisch mit vier unterschiedlichen Stühlen sowie einen Fernseher, eine Stehlampe
und ein Regal, in dem sie ihre Klamotten aufbewahrte. Das war alles. Kein Schrank, keine Kommode, keine Stereoanlage, keine
Lautsprecher, kein Schreibtisch, keine Garderobe. Die Wohnung sah sauber und ordentlich aus. Von dem kreativen Chaos, das
ich erwartet hatte, war nichts zu sehen.
Auf einem Tablett auf dem Sofa standen eine Kanne, zwei Tassen, zwei Teller und die Brötchentüte. Tabea riss die Tüte auf,
legte ihr Croissant und ein Mürbchen auf ihren Teller und begann zu essen. Ich schenkte uns beiden Kaffee ein, nahm meine
Tasse in beide Hände und wärmte mich daran. Ich war nervös.
»Es tut mir leid«, begann ich.
»Was genau tut dir leid?«, fragte Tabea.
Ihr Gesichtsausdruck war
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