Schmutzige Haende
Kein Wenn und Aber. Das gilt für dich und auch für Yanez und seine kleinen Geschäfte. Von nun an müssen wir wieder schlagkräftig sein.
– Dann stimmt es also, Boss? Wir bauen die Catena wieder auf!
– Es gibt keine Catena mehr, Guercio. Und jetzt geh und bring mir Pino.
Stalin sah zu, wie er verwirrt und enttäuscht davonging. Er goss sich einen halben Fingerbreit Whisky ein und seufzte. Nein, die Catena gab es nicht mehr. Und es würde auch nie wieder eine Catena geben. Die Zeiten ändern sich, Guercio, du alte, arme, sentimentale Kanaille. Diese aufregende und unwiederbringliche Zeit ist endgültig vorbei. Man muss sich an die neuen Verhältnisse anpassen, nicht mehr und nicht weniger.
„Viele aufrechte Menschen haben sich umsonst bemüht, die Welt zu verbessern, und haben dabei eine grundlegende Wahrheit übersehen: Die Welt erträgt es nicht, verbessert zu werden. Deshalb nehme ich mir vor, die Welt dabei zu unterstützen, schlechter zu werden. Außerdem bin ich ein Spieler und ich weiß, dass man nicht immer ins Volle greifen kann. Sagen wir also, dass ich alles tue, was in meiner Macht steht, damit die Dinge bleiben, wie sie sind.“
So hatte er sich vor vielen Jahren Vecchio vorgestellt. Und nachdem Vecchio seine kurze Notiz gelesen hatte, war er in Lachen ausgebrochen.
„Sie wollen mir wohl einen Bären aufbinden, Rossetti.“
Touché
. Er war kein Spieler und hasste es zu verlieren. Die Welt war ihm herzlich egal, sie sollte machen, was sie wollte. Ihm war nur wichtig, dass er, Stalin Rossetti, an der Spitze der Pyramide war.
Er war der Boss der Catena geworden. Vecchio hatte ihn für seine Neigung zur Falschheit belohnt.
Die Catena! Die Crème der operativen Agenten! Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden alle Aktionen zur Verhinderung des kommunistischen Vormarsches im Westen
offiziell
einem Netz von geheimen, von der NATO koordinierten Organisationen anvertraut. Der italienische Zweig nannte sich Gladio. In Wahrheit handelte es sich um einen Zusammenschluss von „Kadern“, die im Falle eines Sieges, sogar eines Wahlsieges der Kommunisten, wichtige Entscheidungen hätten treffen sollen. Gladio war eine halboffizielle, mehr oder weniger saubere Truppe. Es gab Schulungen in eigenen Zentren, die Kommandanten wechselten einander ab, hin und wieder nahm sich ein Schöngeist vor, auszumisten und die extremistischen Elemente zu feuern.
Gladio war nur ein kleines, harmloses Reserveheer.
Aber wir sprechen hier von der Catena, mein Freund! Wir reden hier vom dreckigen Dutzend.
Autonome Verwaltung nahezu unbegrenzter Geldmittel. Freie Hand bei fast allen Operationen. Einziger Bezugspunkt: Vecchio. Einzige Aufgabe: Die Verbreitung der roten Pest stoppen.
Es war aufregend gewesen. Solange es gedauert hatte.
Allmählich hatte sich seine Beziehung zu Vecchio gefestigt. Vecchio hatte ihn allmählich bei Missionen eingesetzt, die nichts mit dem Gründungszweck der Catena zu tun hatten. Äußerst heikle Missionen. Missionen, die Vecchio früher einmal selbst durchgeführt haben soll.
Ihm gegenüber hatte Vecchio sich wie vor keinem anderen zu vertraulichen Äußerungen hinreißen lassen. Ihm hatte Vecchio sogar gestanden, dass er irgendwann einmal so etwas Ähnliches wie ein Herz besessen hatte. Stalin war überzeugt, der einzige Mitwisser eines solchen Geheimnisses zu sein. Der Einzige, der in dem, was von diesem Herzen übrig geblieben war, lesen konnte.
Es war aufregend gewesen. Solange es gedauert hatte. Aber es hatte nur kurz gedauert. Es war nur der Hauch einer Illusion gewesen.
Eines Tages hatte Vecchio ihn zu sich gerufen und ihm gesagt: Der Krieg ist vorbei. Vecchio hatte gesagt: Die Dinge ändern sich.
Vecchio hatte alle Dokumente der Catena zerstört.
Vecchio hatte gesagt: Mach Urlaub. Einen langen Urlaub.
Stalin Rossetti hatte höflich gelächelt.
Stalin Rossetti hatte den Kopf gesenkt.
Stalin Rossetti hatte sich ins Zeug geworfen.
Stalin Rossetti hatte die ihn kompromittierenden Papiere geschreddert und die Papiere, die andere belasteten, sichergestellt und an einem sicheren Ort aufbewahrt. Stalin Rossetti hatte Wertpapiere verkauft, Aktivitäten konkretisiert. Fonds freigestellt.
Stalin Rossetti hatte die alten Kameraden in dem Bierlokal in der Via Merulana versammelt. Bis in die Nacht hinein hatte er mit ihnen getrunken und gesungen. Sie hatten derer gedacht, die nicht mehr unter ihnen waren. Er hatte mit ihnen auf den Sieg der Freiheit angestoßen.
Und als alle so
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