Schmutzige Haende
Zentrum hatte abknallen lassen wie ein Bär auf einer Zielscheibe …
– Und was hätte ich tun sollen, Herr Abgeordneter? Was hätte ich tun sollen? Eine Ermittlung einleiten? Zu den Richtern gehen und ihnen Vecchios Unterlagen überreichen? Was zum Teufel hätte ich tun sollen?
– Warum regst du dich so auf, Scialoja? Setz dich hin, sonst wird mir schwindlig … Die Richter! Sehr gut! Was für ’nen Scheiß redest du? Hast du noch nicht begriffen, dass auch die in Mailand ihr eigenes Süppchen kochen?
– Auch das noch!
– Glaubst du mir vielleicht nicht? Dann hör mir gut zu. Die wissen genau, was sie wollen: Zuerst einmal die politische Klasse abschaffen und die althergebrachten Parteien zerstören, uns, die Roten und die Sozialisten. Zweitens die lokalen Gruppierungen favorisieren. Damit vielleicht auch noch in Palermo eine Lega entsteht und Italien endgültig den Bach runtergeht. Drittens: Bomben legen, schießen und morden, damit die Leute Angst kriegen und ihnen in die Arme laufen … also noch mal: die auf der Straße arbeiten mit Sprengstoff und Blei, die im Zentrum der Macht mit Untersuchungsausschüssen … sie wollen uns klein-kriegen. Das ist eine Wachablöse, kapierst du endlich?
– Und warum haben Sie nicht früher etwas dagegen unternommen? Was haben Sie inzwischen gemacht, Abgeordneter?
– Was soll ich machen, ich im Alleingang, während der Krebs meine Leber zerfrisst? Andere hätten was unternehmen sollen. Du. Die Kommunisten, denn einmal abgesehen von uns steht für sie am meisten auf dem Spiel. Zusammenrotten hätten wir uns sollen, genau das! Alle vernünftigen Kräfte sammeln sozusagen und gemeinsam mit den Linken eine Regierung bilden … ernsthaft arbeiten, Reformen, ein Signal zur Veränderung geben … aber jetzt ist es zu spät, Scialò, zu spät.
– Wenn ich Sie nicht kennen würde, würde ich sagen, ich habe es mit einem aufrechten Demokraten zu tun!
– Ich mag dieses Land, glaubst du mir? Wir von der alten Garde lieben dieses Land von ganzem Herzen … Auch wenn wir uns hin und wieder was zuschulden kommen haben lassen … aber nicht nur wir, glaub ja nicht, dass die Roten Engel sind … ich will nicht, dass alles den Bach runtergeht! Und wenn ihnen der Coup gelingt, werdet ihr euch noch nach den Christdemokraten, den Dieben und ihren Spießgesellen zurücksehnen! Denn die, die jetzt dran sind, pfeifen auf die Politik. Die sind Straßenköter, Scialò … ein wenig kennst du dich bei der Sorte ja aus, glaub ich …
– Ich möchte Ihnen etwas sagen … unter höchster Geheimhaltung …
– Ich werde schweigen wie ein Grab!, sagte Corazza spöttisch.
– Wir verhandeln mit der Mafia.
– Nein! Na so was! Und die Kommunisten wissen das?
– Ich habe Argenti gegenüber eine Andeutung gemacht …
– Und er hat dich zum Teufel gejagt? Der ist ärger als der Richter Borrelli, hält sich für Robespierre … aber er hat Eier. Ich werde ihm ein paar Zeilen schicken … aber verhandle nur, Scialoja, die Früchte werden sowieso die anderen ernten, nicht du!
Dann gab Corazza ein ersticktes Röcheln von sich und griff sich mit der Hand an die Gurgel. Sein Atem war fast nicht mehr zu hören. Scialoja beugte sich über ihn. Corazza hustete, dann griff er blitzschnell nach seiner Hand. In seinen Augen ein sarkastisches Leuchten.
– Nein, ich bin noch nicht tot. Noch nicht.
Scialoja versuchte sich aus dem Griff zu befreien, aber Corazza klammerte sich an ihn, an die Gesundheit, die durch seine Adern strömte.
– Seitdem mir die dürre Gevatterin auf den Fersen ist, lässt mich ein Gedanke nicht mehr los, Scialò … Hoffentlich habe ich mich nicht geirrt. Hoffen wir, dass es Gott wirklich gibt … wenn es ihn nämlich nicht gibt, kannst du dir dann erklären, warum wir dieses Schlamassel hienieden anrichten?
Endlich ließ Corazza ihn gehen. Scialoja floh von diesem Ort, wo alles nach Tod stank, und rieb sich die Hand, als wollte er sich von einer unreinen Begegnung säubern.
In diesem Zimmer starb nicht nur ein Mann. Da drin starb eine ganze Epoche. Und er selbst kam sich vor wie ein Mann an der Furt, wie eine sich häutende Schlange: Seine alte Haut fiel beeindruckend schnell ab, aber die neue wollte sich einfach nicht bilden.
An der Rezeption kam Valentina auf ihn zu. Sie hatte sich umgezogen. Sie trug jetzt ein schlichtes graues Kostüm mit einem beinahe knielangen Rock, einen leichten orangen Mantel, der eher billig wirkte, und Stiefel, die sie noch größer
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