Schmutzige Haende
machten. Sie hatte ein etwas kräftigeres Parfum aufgelegt. Sie bot ihm an, ihn in die Stadt mitzunehmen. Als sie hörte, dass er im
Splendide Royal
wohnte, legte sie ihm die Hand auf den Arm.
Sobald sie im Auto saßen, duzten sie sich. Valentina erzählte ihm, dass Corazza außer ihm nie Besuch gehabt hatte, seitdem er eingeliefert worden war. Niemand machte sich Illusionen, was seine Prognose betraf, schon gar nicht er selbst. Er war ein wenig ordinär, verteilte aber großzügig Geschenke. Auch wenn er manchmal seine Hände nicht im Zaum halten konnte.
Auf dem Parkplatz des
Royal
gestand sie ihm, dass sie noch nie in dem Hotel gewesen war. Wie gern hätte sie es doch von innen gesehen!
Scialoja lud sie auf einen Drink ein. Ungezuckerten Orangensaft für sie, ein Glas Châteauneuf-du-Pape für ihn.
Valentina war in Mendrisio zur Welt gekommen. Sie beherrschte drei Sprachen und arbeitete nur vorübergehend in dieser schrecklichen Klinik, die so „schweizerisch“ war. Was so viel hieß wie deutsch, also unsympathisch.
Was tun? Mit ihr aufs Zimmer zu gehen, kam gar nicht infrage. Vielleicht zu ihr nach Hause? In ein anderes Zimmer? Vor Patrizias Augen? Valentina nahm seine Hand: Ich kann sehr gut die Zukunft lesen, sagte sie. Unter dem Tisch schlang sie ihre Beine um die seinen.
Patrizia ging durch die Lobby. Ein Hotelpage folgte ihr, schwer bepackt mit Einkaufstüten.
Ihre Blicke kreuzten sich einen Augenblick lang.
Valentina konnte tanzen und singen. Für ihre Interpretation von
I will survive
hatte sie bei einem Amateurwettbewerb des Rundfunks der italienischen Schweiz einen Preis gewonnen. Natürlich träumte sie davon, Karriere im Showbusiness zu machen. Wenn ihr jemand dabei half, würde sie sich dankbar zeigen.
Scialoja verlor jegliches Interesse an ihr.
Er sagte zum Kellner, das Mädchen sei sein Gast, und ließ sie sitzen, mied ihren enttäuschten und verärgerten Blick.
2.
Nachdem Patrizia die achtzehnte Kreiselbewegung der Fünf Tibeter ausgeführt hatte, blieb sie in perfektem Gleichgewicht vor dem Spiegel stehen und wandte sich gelassen an Scialojas Spiegelbild.
– Hat dich deine neue Flamme sitzen lassen?
– Red keinen Blödsinn.
– Oder hattest du einen Dreier vor?
– Hin und wieder bist du richtig ordinär.
– Das ist wohl die Vergangenheit, die sich bemerkbar macht, Liebling. Die Hure, die in mir steckt.
Scialoja setzte sich aufs Bett.
– Sie ist nur ein armes Luder. Wir haben etwas miteinander getrunken. Das ist alles. Und ich habe keine Lust zu streiten!
Sie drehte sich um. Scialoja sah erschöpft aus. Er wirkte plötzlich um Jahre gealtert.
– Ein schwerer Tag?, fragte sie, etwas milder.
Scialoja erzählte ihr von seiner Begegnung mit Corazza. Er erzählte ihr vom Hauch des Todes, den er in diesem Zimmer verspürt hatte. Und ja, wenn sie es unbedingt wissen wollte, völlig gleichgültig war ihm die kleine Schlampe nicht.
– Ich wollte mir beweisen, dass ich es noch kann, flüsterte er.
– Was? Mich betrügen? Ich glaube, ich habe nie Treue von dir gefordert!
– Nein. Ich spreche von etwas anderem. Von etwas, das mit Leben und Tod zu tun hat …
– Übertreibst du nicht etwas?
– Ein Haufen Menschen erwartet etwas von mir, Patrizia. Aber ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Manchmal weiß ich nicht einmal, wer ich bin.
– Um Himmels willen, ich bitte dich! Selbstmitleid halte ich nicht aus! Fick bitte die erstbeste Schlampe, die dir über den Weg läuft. Dann hast du vielleicht wirklich einen Grund, dich zu bemitleiden.
– Warum bist du so böse zu mir, Patrizia?
Dieser kindliche Satz traf sie im Innersten. Patrizia versteinerte. Böse. Sie war böse gewesen. Ein Kind, das seiner Mutter Vorwürfe macht, und in diesem Vorwurf liegt das ganze leidvolle Staunen dessen, der nicht imstande ist zu verstehen. Weil es nichts zu verstehen gibt. Es hängt davon ab, wie du beschaffen bist. Und davon, was man dir angetan hat. Ihre Mutter verbrachte ganze Tage in völligem Dunkel. Klagte ständig über nicht existierende Schmerzen. Wenn Patrizia zu ihr hinging, wurde sie erbarmungslos weggeschickt. Wenn sie nicht locker ließ, hörte ihre Mutter auf zu jammern und begann zu brüllen. Eines Tages hatte Patrizia auf der Straße einen kleinen streunenden Hund aufgelesen. Als sie ihn ihrer Mutter zeigte, schrie sie: Fort mit diesem räudigen Vieh, fort aus meiner Wohnung! Patrizia hatte geweint. Umsonst. Warum bist du so böse zu mir, hatte sie sie gefragt. Ihre
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