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Schnappschuss

Schnappschuss

Titel: Schnappschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garry Disher
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Ihr Großvater wirkte ein wenig verwirrt. Ein schmächtiger ranghoher Polizeibeamter, der die dunklen Seiten des Lebens nur von seiner Seite des Schreibtisches aus gesehen hatte. Er machte sie nicht miteinander bekannt, sondern trat nur einen Schritt zurück und bat sie herein, bevor er einen Blick auf ihre Schuhe warf. »Falls es Ihnen nichts ausmacht …«
    Zu beiden Seiten der Tür stapelten sich Schuhe und Gummistiefel. Challis und Ellen zogen ihre Schuhe aus, standen mit angezogenen Zehen auf dem kalten Beton der Veranda und warteten darauf, dass McQuarrie sie endlich hineinbat.
    Schließlich standen sie im Hausflur. Der Boden unter ihren Füßen war mit einem teuren, tiefen blaßgrünen Teppichboden ausgelegt, auf einer alten Garderobe lag der Telefonhörer neben der Gabel. McQuarrie führte sie ins Wohnzimmer: rotes Ledersofa, rote Ledersessel, gedrungene antike Anrichten, zwei kleine Perserteppiche. Durch ein Panoramafenster ging der Blick hinaus auf eine Barbecue-Grube, einen mit Ziegeln gepflasterten Hof, eine Rosenlaube und Sträucher in bauchigen Terrakottatöpfen. McQuarries Frau Barbara – häufig nur Mrs. Super genannt – stand neben einem Kamin. Sie war so adrett wie ihr Mann, aber hochnäsiger, schneller beleidigt. Challis bemühte sich um ein mitleidsvolles Nicken und Lächeln, erhielt aber nur ein mürrisches Gesicht zum Dank. Dann stellte er Ellen vor, die nur eines kurzen Blickes gewürdigt wurde.
    »Haben Sie herausgefunden, wer es war?«
    McQuarrie sagte schnell: »Dazu ist es noch zu früh, meine Liebe. Hal ist gekommen, um ein paar Informationen einzuholen.«
    Barbara McQuarrie trat ein paar Zentimeter vor. Der Stress stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Ich möchte nicht, dass Sie Georgia unnötig belasten.«
    »Tee, meine Liebe, ich glaube, wir können alle eine Tasse Tee brauchen.«
    »Ich helfe Ihnen«, sagte Ellen und geleitete McQuarries Frau professionell aus dem Zimmer, wobei sie Komplimente über die Einrichtung, das Haus, die Gartenarchitektur fallen ließ. Challis und McQuarrie schauten ihnen nach. Challis war froh über Ellens Taktgefühl und Einfühlungsvermögen.
    McQuarrie sagte: »Hal, das hier ist Georgia. Georgia, das ist Inspector Challis.«
    Challis streckte seine Hand aus, und das Mädchen schüttelte sie voller Ernst. Ihre Haut war feucht, und die Knochen, die er in seiner Hand hielt, fühlten sich an wie die eines Vögelchens. »Freut mich, dich kennen zu lernen.«
    »Ganz meinerseits.«
    Challis wusste nicht, was McQuarrie seiner Enkelin erzählt hatte. Er hatte gehofft, der Superintendent würde ihn vor dem Treffen und der Befragung darüber informieren. Wusste Georgia, dass ihre Mutter tot war? Wenn ja, wusste die Sechsjährige, was das hieß? »Vielleicht sollten wir uns hinsetzen«, sagte er.
    »Opa, kann ich einen heißen Kakao haben?«
    »Aber natürlich. Lauf und sag der Oma Bescheid.«
    Erleichtert sah ihr Challis nach und wandte sich dann an McQuarrie. »Sir, ist es in Ordnung, dass ich sie befrage?«
    »Für mich schon. Für meine Frau nicht.«
    »Weiß Georgia, dass ihre Mutter tot ist?«
    Etwas von McQuarries knapper Art des Vorgesetzten blitzte wieder durch. »Ja. Tot und im Himmel.«
    »Sie ist bemerkenswert gefasst.«
    »Georgia ist unglaublich. Sie hat sich wohl ausgeweint. Wir werden dennoch dafür sorgen, dass sie eine angemessene psychologische Betreuung erhält.« Er hielt inne. »Wenn die Befragung sie aufregt, werde ich sie sofort abbrechen, Hal.«
    »Sir.«
    McQuarrie war der einzige Superintendent in Challis’ bisheriger Berufslaufbahn, der auch von seinen höheren Ermittlern erwartete, mit »Sir« angeredet zu werden. Die meisten bevorzugten »Chef« oder einfach nur Vornamen oder respektvolle Spitznamen. McQuarrie jedoch bestand auf dem »Sir«. Challis erkannte darin ein gerüttelt Maß an Unsicherheit – die heute noch dadurch verstärkt wurde, dass er trauerte.
    Die Mikrowelle in der Küche machte leise Ping, und einen Augenblick später tauchte Georgia mit einem Becher heißer Schokolade auf. Auf ihrer Oberlippe war ein Milchbärtchen. Ellen Destry folgte ihr mit einer Kanne Tee und einer Zuckerdose auf einem Tablett. Barbara McQuarrie, die ihre Ablehnung deutlich vor sich her trug, brachte einfache Ikea-Becher und ein Schälchen mit Keksen. Sie wollte nur, dass Challis und seine Kollegin aus ihrem Haus verschwanden.
    Als sie sich gesetzt hatten – Georgia saß auf den Knien ihres Großvaters –, warf Challis Ellen einen Blick zu.

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