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Schnappschuss

Schnappschuss

Titel: Schnappschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garry Disher
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hoffnungsvoll an: Sie war zweifellos nur eine weitere Vertreterin einer mitleidlosen Regierung. Im Laufe der Jahre als Reporterin und Redakteurin hatte sie eine ganze Reihe Gefängnisse zu Gesicht bekommen. Aber das hier war noch schlimmer als ein Gefängnis, denn für viele der hier Einsitzenden drohte weitere Misshandlung – vielleicht sogar der Tod –, wenn sie in ihre Heimatländer zurückgeschickt wurden.
    Ihre Aktentasche wurde gescannt, dann durchsucht, Handy und Diktiergerät konfisziert. »Die kriegen Sie später wieder, wenn Sie gehen«, sagte der Mann, der sie durchsuchte. Dann musste sie durch einen Metalldetektor treten, und selbst dann wurde ihr noch der Mantel abgenommen, alle Nähte, die Ärmel und der Kragen sorgfältig von Hand abgesucht. Tessa starrte die kahlen, trostlos gestrichenen Wände an.
    Schließlich wies man ihr im Flur einen Stuhl an und bat sie zu warten. Weiße Wände, Fotos vom amerikanischen Präsidenten und vom australischen Premierminister. Nach einer Viertelstunde streckte eine junge Frau den Kopf zu einer Tür in der Nähe heraus und sagte zu Tessa: »Mr. Mead wird Sie jetzt empfangen.« Ihr Blick voller entgeisterter Faszination verriet deutlich, dass sie den Progress von letzter Woche gelesen hatte und schon halb damit rechnete, dass Tessa Kane ihre Kleider ablegte und es mit den Wachen trieb.
    Tessa betrat ein Büro, das ganz von einem Schreibtisch und dem dahinter sitzenden Mann dominiert wurde. Wie nicht anders zu erwarten, befanden sich in dem Büro Aktenschränke, Regale voller Bücher und spiralgehefteter Berichte und ein vergittertes Fenster mit Blick auf einen Appellplatz. Der Schreibtisch selbst wirkte wie ein Sicherheits- und Kommunikationszentrum mit mehreren Telefonen, einer Gegensprechanlage, Überwachungsmonitoren, zwei Computern, Laptop und Faxgerät. Bis auf ein paar gerahmte Urkunden und einem Foto, das bei den Eröffnungsfeierlichkeiten des Lagers aufgenommen worden war (Bürgermeister und Ratsmitglieder grinsen und klopfen Charles Mead und anderen ANZCOR-Würdenträgern auf die Schultern), waren die Wände kahl. Alles Arschlöcher. Wenn man ganz genau hinschaute, konnte man die Hundert-Dollar-Noten sehen, die von einer Hand zur anderen weitergereicht wurden. Noch mehr Scheine dürften wohl den Besitzer wechseln, wenn erst einmal die Genehmigung erteilt worden war, das Lager zu irgendeiner anderen Einrichtung umzubauen.
    Eine Ausbildungsstätte für benachteiligte Kinder?, dachte Tessa verbittert. Ein Gemeindezentrum für die Bewohner der Sozialsiedlungen?
    Mead, ein hoch aufgeschossener, knochiger, sehniger Mann mit kantigen Schädelknochen und schnellen, scharfen, kalt-amüsiert blickenden Augen, starrte sie an. Er erhob sich hinter seinem Schreibtisch, streckte die Hand aus und zerquetschte ihr die Finger. Dann wies er auf den Stuhl ihm gegenüber. »Setzen Sie sich.«
    Die Stimme glich eher einem Knurren. Er schaute ihr zu, wie sie ein Notizbuch zückte und prüfte, ob ihr Stift noch schrieb. Dann warf sie ihm ein kurzes automatisches Lächeln hin und war gerade dabei, sich bei ihm zu bedanken, dass er Zeit für sie hatte, als er einwarf: »Kane. Ist das ein jüdischer Name?«
    Ach, schau mal an, dachte sie. Kriegte sie die volle Packung ab? Ironisches Grinsen, gerunzelte Stirn, offenes Anglotzen ihrer Beine, offener Antifeminismus, offener Antisemitismus und das sonstige Arsenal an Schocktaktiken, Gesten und Haltungen, die darauf abzielten, sie aus der Fassung zu bringen?
    Also konterte sie: »Es hat die Behauptung gegeben, dass Ihre Wachleute durch die Arbeit hier verroht seien, eine Tatsache, zu der sie die Lagerleitung noch ermutigt habe. Möchten Sie dazu etwas sagen?«
    Mead schien sich zu langweilen. Er drehte sich in seinem Bürostuhl von ihr weg, schlug die Beine übereinander und starrte an die Decke. Dann spreizte er die Finger der linken Hand und begutachtete die Fingernägel. »›Verroht‹? Noch so eine bedeutungslose, hohle Phrase.«
    »Einem Ihrer ehemaligen Angestellten zufolge –«
    »Wem?«, wollte Mead wissen.
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Einem Ihrer ehemaligen Angestellten zufolge wecken Ihre Wachleute die Insassen die ganze Nacht über zu willkürlichen Zeiten auf und verlangen von ihnen deren Insassennummern. Halten Sie das für bedeutungslos?«
    Mead zuckte mit den Schultern. »Sicherheitsvorschrift«, antwortete er.
    Sie starrte ihn an und fuhr dann fort. »Insassen haben ausgesagt, dass das Komitee zur Einstufung der

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