Schnappschuss
eine Hand voll suchte nach drastischen Lösungen.
Nicht anders die Ehemänner.
Challis versuchte an Janine McQuarries Ehemann zu denken, stattdessen tauchte Ellen Destrys Gatte vor seinem inneren Auge auf. Der Kerl war paranoid, besessen, autoritär. Er war überaus angespannt und hegte derart viel Groll gegen alles und jeden, dass er eines Tages durchknallen und Ellen vielleicht etwas antun würde.
Da traf es Challis wie ein Schlag, das Bild von Ellen hinter dem Steuer des Dienst-Falcon am Nachmittag, ihr entschlossen wirkendes, fein geschnittenes Kinn, dann sein Wunsch, sie zu berühren. Auf seine eigene, überaus genaue Art nahm er dieses Gefühl noch einmal unter die Lupe. Es war mehr als nur Freundschaft und weniger als »Retter aus höchster Not«. Es war Verlangen, schlicht und einfach Verlangen – und wahrscheinlich führte es zu nichts.
Challis kam um die Ecke und landete wieder auf dem Parkplatz, wo Janine versucht hatte, ihrem Mörder zu entkommen. Sich das vorzustellen, reichte bei den meisten Menschen schon aus, um Gänsehaut und Herzrasen zu bekommen, doch die Männer der Familie McQuarrie, Sohn und Vater, waren merkwürdig ungerührt geblieben. Challis glaubte nicht, dass sie abgestumpft waren, aber wenn sie nichts mit dem Mord zu tun hatten, was verheimlichten sie dann?
Das Licht in der kleinen Senke war bis auf ein Durcheinander an Schatten verblichen. Challis kehrte zu seinem Wagen zurück. Dort hockte er kalt und deprimiert auch noch fünf fruchtlose Minuten später. Und Nachrichten hören konnte er auch nicht, weil er die Batterie leergeorgelt hatte.
Vyner hingegen hatte den ganzen Tag Nachrichten gehört. Es gefiel ihm, die Hauptnachricht zu sein. Ein Bonbon war dann noch die Neuigkeit, dass er die Schwiegertochter von einem Oberbullen umgelegt hatte. »Keine Hinweise«, lauteten die letzten Meldungen, »keine Hinweise.«
Nach der Schießerei war er auf schnellstem Weg in seine Wohnung in der Stadt zurückgekehrt, war froh, die Dreckstraßen, die Kühe und Nathan Gent los zu sein, und nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Bullen sich im Kreis drehten, machte er sich an seinen nächsten Job.
Er hockte auf einer Sofakante in einem Wohnzimmer in Templestowe und sagte: »Sammy war ein Held.« Dann schwieg er kurz. »Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn ich ihn so nenne? Wir alle kannten ihn nur als Sammy.«
Mrs. Plowman, Sammys Mutter, lächelte tränenfeucht. »Alle nannten ihn Sammy. Ich war die Einzige, die ihn jemals Sam nannte – oder Samuel, wenn ich wütend auf ihn war.«
Dann weinte sie wieder bei dem Gedanken, dass sie jemals wütend auf ihren Sohn hatte sein können, auf Sammy, der sein Leben lassen musste, als er in der irakischen Wüste eine Ölpipeline bewachte.
Vyner streckte die Hand aus, nahm ihre trauernden Hände und walkte Leben und Hoffnung in sie. »Sammy hat immer nur die guten Seiten des Lebens gesehen. In gewisser Weise hat er die Truppe zusammengehalten. Wenn irgendeiner der jüngeren Burschen schon alles hinschmeißen wollte, war Sammy für ihn da. Die Armee hat einen Helden verloren, Mrs. Plowman.«
Mrs. Plowman wischte sich die Augen ab. »Manchmal versuche ich mir sein Gesicht vorzustellen und kann es nicht, und das macht mir Angst. Aber Sie erwecken ihn wieder zum Leben.«
Vyner wurde ganz still. Er wollte es nicht zu weit treiben. Er wollte schon, dass sie in Erinnerungen schwelgte, aber nicht so weit, dass sie von ihm und seinen eigenen Bedürfnissen abgelenkt wurde.
Das Haus war ein architektonischer Albtraum inmitten anderer architektonischer Albträume. Albträume im Wert von jeweils einer dreiviertel Million Dollar, wohlgemerkt, und bevölkert von vulgären, neureichen Müßiggängerinnen. Mrs. Plowman war eher unscheinbar und trauerte um ihr einziges Kind, Lance Corporal Samuel Plowman. Ihr Gatte trauerte, indem er immer mehr Zeit im Büro oder auf Konferenzen verbrachte und Mrs. Plowman mit ihren Erinnerungen allein ließ – die ihr Vyner mit ein paar gepressten Tränen herausgelockt hatte, dazu ein wenig Händchen halten auf dem Viertausend-Dollar-Sofa vor dem Panoramafenster. Ein Fischzug durchs Internet und durch ein paar Zeitungsarchive letzten Monat.
»Er war unglaublich mutig, Mrs. Plowman. Er ging kein Risiko ein, sondern behielt stets kühlen Kopf. Einmal hat er mich aus der Klemme befreit. Ich wurde durch einen Scharfschützen festgenagelt, und Sammy kroch über offenes Gelände und holte mich da raus. Ich hatte die
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