Schnappschuss
Polizeiabsperrband knatterte im Wind, die Geräusche der Motoren und Reifen auf der Straße über ihm wirkten geisterhaft und verzerrt. Sein alter Triumph tickte leise, während der Motorblock abkühlte. Es war ziemlich schwer gewesen, ihn anzuwerfen, und er hatte sich auf dem Parkplatz in Waterloo amüsierte Blicke eingefangen, aber für morgen hatte er bereits einen Werkstatttermin.
Challis schüttelte den Gedanken daran ab und versuchte sich in die Köpfe und Körper des Opfers und der Täter hineinzudenken. Für ihn war das ganz normal: das tat er an jedem Tatort. Auf diese Weise bekam er eine Ahnung davon, was die Leute getrieben haben mochte, so erkannte er die Umstände. Ihn überraschte nur noch wenig – was nicht heißen sollte, dass er auch alles dulden oder vergeben konnte.
Doch diesmal bekam er eine Gänsehaut. Tief in ihm hallte eine andere Schießerei an einem anderen Ort mit anderen Tätern und Opfern nach.
Damals war er noch jünger gewesen, Detective Sergeant in einer großen Stadt in den endlosen Weizenebenen im Westen des Bundesstaates. Er war verheiratet gewesen, glücklich verheiratet, wie er glaubte, doch hatte er nicht gewusst, dass seine Frau kreuzunglücklich war. Sie fing an, mit einem seiner Kollegen zu schlafen, einem Senior Constable, verheiratet. Die Affäre verwandelte sich in eine überhitzte Obsession, und ihrer Meinung nach bestand der einzige Ausweg darin, Challis zu ermorden. Also lockten sie ihn an einen einsamen Ort unter einem mondlosen Abendhimmel und lauerten ihm dort auf. Doch Challis hatte gespürt, dass etwas nicht stimmte. Er hatte sich halb umgedreht, um seine Dienstwaffe zu ziehen, was ihm das Leben rettete. Die Kugel zupfte an seinem Ärmel, zackte ein Loch in die Jacke und zischte durch seinen Oberarm. Challis hatte sich umgedreht, dem Liebhaber seiner Frau in die Schulter geschossen und ihn so kampfunfähig gemacht. Der Mann saß gerade eine zwölfjährige Haftstrafe ab. Angela Challis hatte zehn Jahre bekommen, aber der Knast hatte sie endgültig aus der Bahn geworfen, und letztes Jahr hatte sie sich auf der Krankenstation selbst umgebracht.
Challis war klar, dass er Janine McQuarrie wohl nicht gemocht hätte, wenn er sie gekannt hätte, aber war ihr ebenfalls aufgelauert worden? Hatte ihr Ehemann sie aus dem Weg räumen lassen? Ellen und Scobie hatten Anhaltspunkte dafür gefunden, dass sie eine schlechte Therapeutin und eine anstrengende Arbeitskollegin gewesen war. Vielleicht deuteten ihr mangelndes Urteilsvermögen, ihre Verachtung und Heimlichtuerei auf eine tiefsitzende Unzufriedenheit hin, ausgelöst durch die Ehe mit Robert McQuarrie und die kritische Beobachtung durch seine furchtbaren Eltern.
Challis stand da, wusste, dass er etwas übersehen hatte, und hoffte, dass die Szenerie ihm verraten würde, worum es sich dabei handelte. Vor seinem geistigen Auge sah er den Fahrer und den Schützen. Wozu hatte der Schütze einen Fahrer gebraucht? Hatten sie schon vorher zusammengearbeitet? Nach Georgia McQuarries Beschreibung des Mordes zu urteilen, hatten die beiden Männer nicht dasselbe Maß an Professionalität bewiesen. Er sah vor sich, wie Georgia den Notruf wählte, und notierte sich im Geiste, den Einzelverbindungsnachweis von Janines Autotelefon durchzugehen. Und übrigens: Wenn man davon ausgehen konnte, dass der Mörder angeheuert worden war und kein eigenes persönliches Interesse an der Tat hatte – wie hatte der Mörder seine Anweisungen erhalten?
Das brachte Challis wieder auf den anonymen Anrufer. Der Fahrer? Ein Bekannter, der Waffe oder Wagen besorgt hatte? Jemand, der andere angeheuert hatte, um Janine einen Schrecken einzujagen, was dann völlig aus dem Ruder lief?
Challis taten alle Knochen weh. Die feuchte Kälte drang ihm bis ins Mark. Er stampfte mit den Füßen auf und setzte sich wieder in Bewegung, überquerte die Zufahrt und ging einen schlammigen Pfad am Haus entlang. Challis schaute am Haus hoch und entdeckte Flecken von khakifarbenem Schimmelbefall, die Sonne schien dort nie hin, und er sah Joy Humphreys Leben voller Einsamkeit, Armut und Vernachlässigung vor sich.
Er umkreiste das Haus, fragte sich, ob Liebe, Verlangen oder irgendeine ihrer pervertierten Ableitungen bei der Ermordung von Janine McQuarrie eine Rolle gespielt hatten. Hatte sie Liebe oder Verlangen im Wege gestanden, war sie der Auslöser von Liebe oder Verlangen gewesen? Challis dachte an Frauen in lieblosen Ehen. Viele ertrugen dieses Dasein, manche gingen,
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